Radiogeschichten

Ex libris-Nachlese. "Vor der Baumschattenwand nachts". Von Peter Handke. Es liest Till Firit. Gestaltung: Peter Zimmermann

Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen: seit fünfzig Jahren hält sich Peter Handke im Fokus der deutschsprachigen Literaturkritik. Und zwar mit jedem Buch, mit jedem Stück, sogar mit jedem Interview. Das ist insofern erstaunlich, als Handke nie den Versuch unternommen hat, Allianzen auch nur mit Teilen der ihn wahrnehmenden Öffentlichkeit einzugehen.
Handke war nie Wortführer, Sympathieträger, nie ein Meister der öffentlichen Rede, des geistreichen Kommentars, des launigen Bonmots. Seine Texte haben, bei aller Klarheit der Sprache, etwas Entrücktes, etwas Suchendes, nie ganz in der Gegenwart verankertes.

Äußert sich Handke doch einmal zu politischen Ereignissen, was er vor allem angesichts der Balkankriege in den neunziger Jahren getan hat, sorgt er für Verwirrung, für Missverständnisse, reagiert beleidigt und teilt Beleidigungen aus. Es scheint, als sprächen der Dichter und die Öffentlichkeit verschiedene Sprachen.
Während Handke allerdings gar nicht erst den Versuch unternimmt, verständlicher zu werden - das heißt, der Öffentlichkeit einen Schritt entgegen zu gehen, rückt diese Öffentlichkeit (repräsentiert vor allem durch die Medien) beharrlich nicht von ihm ab und versucht stattdessen immer wieder, sich seiner Unberechenbarkeit anzupassen.

Jede Rezension eines Handke-Buchs, jede Kritik eines seiner Stücke, jedes Interview mit ihm gleicht einem Verstehenwollen. Man möchte sogar sagen: nicht der Autor buhlt um die Liebe der Kritik, sondern die Kritiker wollen sich die Liebe des Autors erschreiben und ersprechen. Und sie werden sie nie bekommen. Das nennt man Lustschmerz. Auf diese Weise kommt man gemeinsam in die Jahre.

Jochen Jung hat in seinem kürzlich erschienenen Buch "Zwischen Ohlsdorf und Chaville" diesen Lustschmerz im Umgang mit Peter Handke beschrieben, den man aus der Arbeitsbeziehung herauslösen und über die Beziehungsgeschichte zwischen Dichter und Öffentlichkeit legen kann. Auf Jungs Bemerkung hin, die von Handke nicht gerade geschätzten Bildungsbürger seien aber doch diejenigen, die seine Bücher kauften und läsen, empörte sich Handke, er, Jung, sei ein Schmarotzer, ein Nichts, ein Nutznießer, eine Zecke. Zuerst, schreibt Jung, sei er getroffen gewesen, später habe er Handkes Wutausbruch als Zurechtweisung gedeutet. Das heißt, der Beleidigte hat die Beleidigung akzeptiert und diese schließlich legitimiert. Sie ist ihm also erstens zurecht widerfahren und kann zweitens als eine Form des Liebesbeweises gedeutet werden. Man weist niemanden zurecht, wenn einem jemand gleichgültig oder verhasst ist.

Jetzt hat Jochen Jung mit Peter Handke dieses Buch gemacht, ein über vierhundert Seiten starkes Schatzkästchen aus Sätzen und Zeichnungen: "Vor der Baumschattenwand nachts".

Service

Peter Handke, aus "Vor der Baumschattenwand nachts (Zeichen und Anflüge von der Peripherie 2007 - 2015)", Jung & Jung Verlag

Sendereihe

Gestaltung

  • Peter Zimmermann