Zwischenruf

von Pfarrer Marco Uschmann (Wien)

"Taler, Taler, du musst wandern". Dieses Kinderlied beschreibt die Grundidee von TTIP. Wieder einmal ist das angestrebte Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA in die Schlagzeilen gekommen und sorgt für Empörung.

Eine NGO hat auf hunderten Seiten Verhandlungsdetails publiziert, die zeigen, wie weit beide Partner noch voneinander entfernt sind. Eigentlich sollte das Handelsabkommen nun bald abgeschlossen werden. Immerhin verhandeln die beiden Wirtschaftsräume bereits seit über drei Jahren miteinander. Die politischen Entwicklungen - Präsidentenwahlen in den USA, Wahlen in Deutschland und Frankreich - lassen nun die Zeit knapp werden.

Im Wesen geht es bei TTIP darum, dass Güter und Waren beider Wirtschaftsräume einfacher ausgetauscht, also gekauft und verkauft werden. Das war's dann aber auch schon mit dem Einfachen. So muss zunächst einmal geklärt werden, was Waren sind: sicherlich Autos oder Lebensmittel. Aber was ist beispielsweise mit Wasser? In Europa wird die Wasserwirtschaft von Staaten getragen und garantiert. TTIP könnte das verändern, weil viel mehr privatisiert werden kann. Auch der Arbeitnehmerschutz oder das geistige Eigentum sind sehr unterschiedlich geschützt und bewertet.

Gelten bald auch Kultur und Bildung als Ware? Denn auch die könnten noch sehr viel mehr privatisiert werden als bisher. Das fürchten die Kritiker des Abkommens. Auch die medizinischen Standards werden jenseits des Atlantiks anders gesetzt als in der Europäischen Union. Der Verbraucherschutz ist generell anders aufgebaut: Bei uns gilt das sogenannte Vorsorgeprinzip: Erst wenn Stoffe nachweislich unschädlich sind, dürfen sie verarbeitet werden. In den USA gilt das Nachsorgeprinzip: Solange es keine wissenschaftlich eindeutig belegten Gefahren gibt, dürfen Produkte verkauft werden. So sind in den USA tausende Inhaltsstoffe bei Kosmetik erlaubt, die in der EU nicht zu finden sind. Dafür haben die USA erheblich schärfere Standards etwa bei Kinderspielzeug. Unterm Strich lässt sich sagen, dass zwei Systeme aufeinanderprallen, die harmonisiert werden sollen - durch TTIP.

Vielleicht hilft die Bibel weiter. Dort findet sich gleich auf den ersten Seiten der Auftrag an die Menschen, Verantwortung zu übernehmen für sich und die Welt. Die Bibel nennt das Schöpfung. Nichts anderes nämlich bedeutet es, die Erde zu bebauen und zu bewahren. Das ist natürlich im übertragenden Sinn gemeint: Was nützt dem Menschen, was nützt der Natur? Dahinter steht der Auftrag, verantwortlich zu handeln. Das gilt für diejenigen, die am Verhandlungstisch sitzen und das gilt für die betroffenen Bürger. Sie sind es ja, die mit den Ergebnissen konfrontiert werden. So ist es nicht nur verständlich, sondern geradezu gefordert, dass sie die Verhandlungen kritisch begleiten. Das ist nichts anderes als Verantwortung erkennen und wahrnehmen. Für die Verhandler aber gilt ebenso der Auftrag, nicht die wirtschaftlichen Vorteile allein regieren zu lassen. Auch sie haben den Auftrag, die Schöpfung zu bewahren und verantwortlich abzuwägen.

Die Idee von freien Handelsräumen freilich ist nicht neu. Schon im 19. Jahrhundert haben die Briten erste Freihandelszonen geschaffen, und die Europäische Union ist auch nichts anderes: Die Waren werden ohne Zölle und Grenzen gehandelt. Das klingt plausibel, denn Zölle und Bürokratie verursachen Kosten. Fabriken müssen Waren in mehreren Ausführungen herstellen, damit sie in den unterschiedlichen Handelsräumen zugelassen werden: In den USA blinken die Autoblinker rot, in der EU blinkt es gelb. Was nun wird erlaubt? Autoblinker klingen harmlos gegen die Bedenken der Menschen, die oft lautstark protestieren: In den USA sind Lebensmittel zugelassen, die vielen in Europa zuwider sind, - Stichwort Chlorhuhn und Genmais. Andererseits ist es offensichtlich, dass weniger Bürokratie geringere Kosten verursacht. Auch ist die Rede davon, dass mehr Arbeitsplätze entstehen und damit der Wohlstand gemehrt wird. Je weniger Barrieren, umso besser für die Volkswirtschaften, heißt es bei den Befürwortern. Auch nicht von der Hand zu weisen.

Die EU und die USA verhandeln hart, denn viel steht auf dem Spiel. Die jüngsten Veröffentlichungen nun legen nahe, dass die USA erst gegen Ende der Verhandlungen die ganzen harten Brocken - Chlorhuhn, Genmais - auf den Tisch legen wollen, um möglichst viel durchzubringen. Das scheint legitim, denn bei einem Kompromiss versuchen natürlich alle Beteiligten möglichst viele der eigenen Interessen zu wahren.

Was aber ist mit den Interessen der betroffenen Bürger? Zunächst einmal herrscht, zumindest in Österreich, Frankreich und anderen Staaten, Skepsis gegenüber TTIP. In vielen anderen EU-Staaten übrigens nicht: Dort überwiegen eher die Befürworter. Die Skepsis ist genährt von der mangelnden Information: Kennt sich überhaupt noch jemand aus bei TTIP?

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