Gedanken für den Tag

Gedanken für den Tag

von Topsy Küppers, Schauspielerin und Autorin. "Jedes Wort hinterlässt eine Spur" - Zum 100. Todestag des Dichters Scholem Alejchem. Gestaltung: Alexandra Mantler

Scholem Alejchem - Friede sei mit Euch - so grüßte der Dichter, denn er war der Meinung, jedes Wort hinterlässt eine Spur.

Friede sei mit Euch. Vielleicht nicht jedes Wort, aber manche Worte vergisst man einfach nicht. Als ich in den sechziger Jahren in Israel gastierte, fuhr ich gerne mit einer bestimmten Buslinie von Egged Lines. Der Buschauffeur war ein Emigrant aus Berlin. Ein bekannter Rechtsanwalt, Dr. Gronemann. Er schaffte es nicht, das Anwaltspatent in Hebräisch zu erhalten. Zu fremd blieben ihm Gesetze und Sprache, denn er lebte ganz in der Welt der deutschen Dichter. Schiller, Kleist und vor allem Goethe. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitete er als Chauffeur bei der Buslinie Egged Lines.

In Berlin war Gronemann einer der bekanntesten Strafverteidiger. Man bewunderte sein gepflegtes Deutsch. Man wusste, er liebte Goethe, zitierte Goethe perfekt, kannte alles, was Goethe geschrieben hatte, und sah auch ein bisserl aus wie Goethe. Aber in Israel wurde er belächelt. Sein Hebräisch - mit starkem deutschen Akzent - wurde kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen, und wenn er den Fahrgästen in Deutsch ein höfliches "Vielen Dank, meine Herrschaften, dass Sie unsere Buslinie gewählt haben" zurief, beschimpfte man ihn, denn Deutsch zu reden war in Israel verpönt. Und so flüchtete Gronemann zu seinem geliebten Goethe und sagte im Bus einmal in Gedanken laut zu sich selbst:

"Mich fasst ein längst entwohnter Schauer - der Menschheit ganzer Jammer fasst mich an." "Mann, was reden Sie da?", fuhr ihn ein Fahrgast an: "In Israel redet man Yvrith!" Gronemann antwortete mit verhaltenem Ärger in fehlerhaftem Hebräisch: "B'vakashsah ce shel gete" - "Bitte, das ist von Goethe!" "Nu, wenn schon, wer ist Goethe.?", sagte der Fahrgast und stieg kopfschüttelnd aus. Dr. Gronemann rief ihm nach: "Todah Rabat", das heißt: Vielen Dank. Ich habe gelernt: "Andere Länder, andere Idole."

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: James Raphael/geb.1953
Vorlage: Traditional
Album: JAMES RAPHAEL / NINO ROTA: KLAVIERWERKE
* 7. Variation 6 (00:02:31)
Titel: Hatikvah - 13 Variationen und fünfstimmige Fuge für Klavier über die israelische Nationalhymne. Im Gedenken an die Opfer des Holocaust
Solist/Solistin: James Raphael /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Ars Musici AM 12822

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