Zwischenruf

von Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Wien)

Wie immer man die Wahl zum neuen Bundespräsidenten betrachtet und bewertet, eines hat sie mit Sicherheit gebracht: eine gewisse Politisierung der Bevölkerung. Wer hat vor dem Wahlkampf schon gewusst, welche Rechte und Möglichkeiten ein Bundespräsident hat? Und vielleicht ist dieses Wahlkampfduell auch ein Anlass, grundsätzlicher darüber nachzudenken, wie und von wem ein Land regiert werden soll, wer dazu geeignet ist und wer nicht.

Es lohnt sich, einen Blick in die Geschichte zu werfen, in die Zeit der Reformation, ins 16. Jahrhundert, in dem es weder Demokratie noch Toleranz im heutigen Sinn gab.

Einer der großen Reformatoren, der das Denken Europas nachhaltig prägte, war der Franzose Johannes Calvin. Er kam als Flüchtling nach Genf und setzte als Jurist und Theologe die Reformation in der Stadt um. Calvin war mehr Aristokrat als Demokrat, und die Volksherrschaft war ihm suspekt.

Sie würde unerwünschte Phänomene mit sich bringen, wie sie uns auch heute nicht unbekannt sind: Verschleppung von Problemlösungen, Inkompetenz, Populismus und Korruption.

Gleichzeitig entwickelte er Strukturen, die den Boden für ein demokratisches Staatswesen bereiteten. Was er für die Kirche erdachte, ist in gewisser Weise auch auf das Staatswesen übertragbar.

Die Berufung eines Pfarrers, so meinte er, sei nach Gottes Wort dann legitim, "wo auf Grund der einhelligen Meinung und der Billigung des Volkes diejenigen gewählt werden, die als geeignet erschienen sind." Um alle Unregelmäßigkeiten auszuschalten, sollen andere, unparteiische Pastoren die Wahl leiten, "damit sich die Menge nicht etwa durch Leichtfertigkeit, falschen Eifer oder Tumulte versündigt."

Nun geht es mir nicht darum, zu zeigen, wie sich Kirche in staatliche Angelegenheiten einmischen könnte, sondern welche Anstöße von kirchlicher Seite für die Lenkung des Gemeinwesens gekommen sind.

Die Fehlbarkeit und Mangelhaftigkeit der Menschen mache es, nach Calvin, sicherer und für alle erträglicher, "wenn mehrere das Steuerruder halten, so dass sie einander gegenseitig beistehen, sich gegenseitig belehren und ermahnen, und wenn sich einer mehr als billig erhebt, mehrere Aufseher und Lehrer da sind, um seine Willkür im Zaume zu halten."

In den letzten Jahren konnten wir mitverfolgen, wie einzelne Politiker zunehmend ihre Machtbefugnisse erweiterten. Dabei konnten sie sich auf eine breite Mehrheit stützen. Demokratie heißt zwar wörtlich: Herrschaft des Volkes. Wer aber behauptet, Demokratie sei einfach der Wille der Mehrheit, hat ein eingeschränktes Demokratieverständnis. In manchen Ländern scheint es in Vergessenheit geraten zu sein, dass Demokratie auch etwas beinhaltet, wofür Christinnen und Christen einstehen sollten und damit meine ich nicht: Gott in der Verfassung oder eine christliche Leitkultur, sondern den Schutz der Schwachen, die Stärkung von Minderheitsrechten und die Einbindung der Bevölkerung in Entscheidungsprozesse bei Wahrung von Grundrechten und der Würde des Menschen.

Dabei sollten wir nicht allein auf einzelne Persönlichkeiten setzen und seien sie noch so integer und sympathisch, sondern vor allem auf Strukturen, in denen einzelnen eine zu große Machtfülle verwehrt bleibt und ein Gleichgewicht verschiedener Kräfte im Staat garantiert ist, damit nicht einer allein das Ruder an sich reißt, die anderen nach seinem Takt rudern lässt und die sich verweigern, aus dem Boot hinauswirft. Die Kirche soll nicht mitregieren wollen, aber als Teil der Zivilgesellschaft und des Staatswesens hat sie auch ihre Aufgabe in der Gesellschaft. In der Kirche wird Gott verehrt, ein menschenliebender Gott, der das Beste für die Menschen will, und dazu gehört einmal auch ein System, in dem alle gleich vor dem Gesetz sind, in dem keine Sündenböcke produziert werden und in dem der einzelne frei ist und gleichzeitig verantwortlich gegenüber Gott und seinen Mitmenschen.

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