Zwischenruf

von Oberkirchenrat Johannes Wittich (Wien)

"Viele Menschen in unserem Land fühlen sich nicht ausreichend gehört" - ein Satz aus der ersten Rede des frisch gewählten österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen unmittelbar nach der Wahl. Es ist zu hoffen, das die, die sich sonst überhört (und wohl auch übersehen fühlen) das mitbekommen haben. Als Versuch, zu signalisieren: Ich nehme euch ernst. Ob es dann auch gelingen wird, ist eine andere Frage.

Zweifelsohne gibt es eine beträchtliche Zahl von Menschen in unserem Land, die sich unverstanden fühlen, die den Eindruck haben, ihre Anliegen würden nicht ernst genommen, ihre Ängste und Sorgen seien denen, die das Sagen haben, egal. Das ist nicht zu unterschätzen, und schon gar nicht zu ignorieren. Es ist danach zu fragen, warum Menschen das Gefühl haben, zu den Verlierern zu gehören. Es ist ihnen zuzuhören und, wo notwendig, ihnen eine Stimme zu geben.

Menschen, die das tun, gibt es schon, gar nicht so wenige. Allerdings, so habe ich das Gefühl: Auch die werden nicht gehört. Menschen, die sich dafür einsetzen, ehrenamtlich oder bezahlt, dass unsere Gesellschaft eben nicht auseinanderbricht, sozialer Zusammenhalt gefördert wird, das Zusammenleben Qualität bekommt. Dieses Engagement, dieser Einsatz - viel zu wenig erfährt man davon.

Viel zu lesen und zu hören ist z.B. darüber, wie sehr unser Schulsystem abgewirtschaftet hat. Das System vielleicht - aber Schule ist mehr als nur ein "System". Schule ist Augen öffnen für Wissen und Erfahrung, Auseinandersetzung lernen und Standpunkte beziehen üben. Und das gelingt immer wieder durch engagierte Lehrerinnen und Lehrer. Sie sorgen dafür, dass eben nicht nur frustrierte geistige Zombies am Ende der Schulzeit herauskommen, wie manche Stimmen es uns weis machen wollen.

Oder wer nimmt wahr, wie viel getan wird, um an den viel beschriebenen "neuralgischen Punkten" der Stadt Wien eine Eskalation zu vermeiden, wenn sie zu Treffpunkten für Drogenabhängige und Obdachlose werden. Wieviel da an Druck weggenommen wird durch kompetente Betreuung und Hilfsangebote. Oder wo ist groß zu lesen, dass gerade eine internationale Konferenz von christlichen und muslimischen Gefängnisselsorgern stattgefunden hat, in der Strategien gegen Radikalisierung im Gefängnis beraten wurden - als gemeinsame Aufgabe verschiedener Religionen?

Die Liste ließe sich endlos weiterführen. Und ich sage bewusst "endlos", weil es so Vieles gibt, das überhaupt nicht wahrgenommen wird. Mehr noch: Manchmal geht es sogar darum, die, die sich engagieren, in Schutz nehmen und verteidigen zu müssen. Wenn z.B., wie gerade in Deutschland geschehen, ein Politiker der AfD kirchliches Engagement für Flüchtlinge als profitsüchtiges Ausnützen von Bedürftigen und auch Ehrenamtlichen diskreditiert. Ähnliches war und ist auch gelegentlich bei uns zu hören. Hier ist Widerspruch unbedingt gefordert.

Und zwar nicht, um so zu tun, als sei alles nicht so schlimm und die Herausforderungen unserer Zeit gar nicht so groß. Im Gegenteil: Gerade weil die Herausforderungen so groß sind, braucht es Hoffnungszeichen, Beispiele dafür, wo etwas gelingt, als Modell und Orientierung, wie es sein könnte und in welche Richtung es gehen sollte.

Darüber muss geredet werden, ohne falsche Scheu oder gar Bescheidenheit. Ein biblisches Bild, von Jesus verwendet, ist mir dabei Orientierung, nämlich dass wir unser "Licht" nicht "unter den Scheffel stellen", sondern "vor den Menschen" leuchten lassen sollen. Zeigen sollen, was schon da ist an Erfolgreichem. Oder darauf hinweisen, wo anderen Wegweisendes gelingt.

Manchmal muss nicht alles neu erfunden werden. Manchmal ist es genug, das zu stärken und zu unterstützen, was schon da ist. Das ist mehr als genug.

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