Gedanken für den Tag

von Karl Sigmund, emeritierter Professor für Mathematik an der Universität Wien. "Zwischen Physik und Philosophie" - Zum 100. Todestag von Ernst Mach. Gestaltung: Alexandra Mantler

Mach und Boltzmann

Mach führte die physikalischen Begriffe auf unmittelbar gegebene Sinneseindrücke zurück.

Die radikale Erkenntnislehre, die Mach in seinen vielbeachteten philosophischen Vorlesungen an der Universität Wien vortrug, fand zahlreiche Anhänger, aber auch Gegner. Und in der Tat, Machs Auffassungen warfen viele Fragen auf, so vor allem: Wenn die Welt nur aus Erlebnissen besteht, wie steht es um die Dinge, die nicht wahrgenommen werden?

Zum vehementesten Kontrahenten von Mach wurde ausgerechnet sein nächster Kollege an der Universität Wien, der theoretische Physiker Ludwig Boltzmann. Um 1900 war noch keineswegs entschieden, ob es Atome gibt oder nicht. Sie existieren, sagte Boltzmann. Mach hingegen war das Atom eine gedankliche Hilfskonstruktion, ebenso dubios wie das Ding an sich. Wenn die Rede auf Atome kam, pflegte er zu sagen: "Haben's schon mal eins g'sehn?" Und das hatte ja auch damals noch niemand.

Wenige Jahre, nachdem Mach an die Wiener Universität berufen wurde, erlitt er einen Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmte. Woraufhin seine philosophischen Vorlesungen justament von Ludwig Boltzmann übernommen wurden.

Obgleich Boltzmann in vielem von Mach abwich, sah auch er in der Metaphysik Scheinprobleme: genauer eine Art Sinnestäuschung, die teuflischer Weise so wie die gewöhnlichen Sinnestäuschungen fortbesteht, nachdem die Ursache erkannt ist. Boltzmann meinte: "Die Metaphysik scheint einen unwiderstehlichen Zauber auf den Menschengeist auszuüben, der durch alle misslungenen Versuche, ihren Schleier zu heben, nichts an Macht einbüßt. Der Trieb, zu philosophieren, scheint uns unausrottbar angeboren zu sein."

Und Boltzmann schrieb die verzweifelten Worte: "Der unwiderstehliche Drang zu philosophieren ist wie der Brechreiz bei der Migräne, der etwas auswürgen will, wo nichts ist."

Service

Karl Sigmund, "Sie nannten sich DER WIENER KREIS - Exaktes Denken am Rand des Untergangs", Verlag Springer

Ernst Mach Centenary Conference 2016

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Titel: GFT 160615 Gedanken für den Tag / Karl Sigmund
Länge: 03:47 min

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750
Album: BAROQUE FAVORITES: BELIEBTE STÜCKE AUS DEM BAROCK
Titel: Badinerie - 7.Satz aus der Suite (Ouvertüre) für Orchester Nr.2 in h-moll BWV 1067
Solist/Solistin: William Bennett /Flöte
Orchester: English Chamber Orchestra
Leitung: Raymond Leppard
Länge: 02:00 min
Label: CBS MYK 42548

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