Gedanken für den Tag

von Arnold Mettnitzer, Theologe und Psychotherapeut. "Wenn endlich endlich kommt" - Zum 90. Geburtstag von Ingeborg Bachmann. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Seht zu, dass ihr wach bleibt"

Ein Mensch bin ich! Ein Beziehungswesen!
Anderen helfen zu können, hilft mir! Andere tragen zu können, trägt mich!

Von zwei Brüdern wird erzählt, sie hätten miteinander den elterlichen Bauernhof geerbt, gemeinsam bewirtschaftet und am Ende den Ertrag der Ernte geschwisterlich geteilt. In der Nacht können beide nicht schlafen. Der eine denkt: "Mein Bruder hat eine große Familie während ich allein bin. Er braucht mehr als ich zum Leben. Ich will um Mitternacht etwas von meinen Garben in seine Scheune tragen."

Der andere denkt: "Mein Bruder ist allein. Im Alter hat er niemanden, der für ihn sorgt. Um Mitternacht will ich etwas von meinen Garben in seine Scheune tragen." Und so begegnen einander die beiden Brüder kurz nach Mitternacht - auf halbem Weg zwischen den Scheunen - jeder in seinen Händen die Garben für den anderen.

Ingeborg Bachmanns Gedicht "Holz und Späne" bringt diese Geschichte in sechs einfachen Worten auf den Punkt:

"Seht zu, dass ihr wach bleibt!"

(Ingeborg Bachmann, Die gestundete Zeit. Anrufung des großen Bären. Gedichte, R. Pieper & Co, München 1974, Seite 23)

Und ihr Gedicht "Römisches Stadtbild" endet mit den Worten:

"Keiner springt ab.
So gewiss ist's, dass nur die Liebe
und einer den andern erhöht."

(Ingeborg Bachmann, Die gestundete Zeit. Anrufung des großen Bären. Gedichte, R. Pieper & Co, München 1974, Seite 119)

Service

Ingeborg Bachmann, "Die gestundete Zeit - Anrufung des Großen Bären. Gedichte", R. Piper & Co. Verlag

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Gestaltung

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Titel: GFT 160623 Gedanken für den Tag / Arnold Mettnitzer
Länge: 03:49 min

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