Radiokolleg - Dirigentinnen

Jenseits von Macht und Maestro (4).
Gestaltung: Verena Gruber

Dirigentinnen gibt es seit Jahrtausenden. Bereits im alten Ägypten schlugen Sängerinnen den Takt, in den Klöstern Byzanz' dirigierten Komponistinnen und von der Barockzeit bis weit nach 1800 leiteten Frauen Ensembles vom Cembalo oder der Geige aus.

Erst als im 19. Jahrhundert das Berufsbild des Dirigenten entstand und sich das Dirigieren vom Instrument loslöste, war die Tätigkeit eines Dirigenten als "Inbegriff musikalischer Macht" nicht mehr mit dem Idealbild der Frau zu vereinen. Nur noch wenige Frauen traten im 19. Jahrhundert vor ein Orchester. Es war die Geburtsstunde des Mythos Maestro. Er basiert auf dem Bild des großgewachsenen, europäisch aussehenden, grauhaarigen Herrn, der die Hände hebt und das Orchester "diszipliniert". Für die Tätigkeit des Dirigenten gäbe es "keinen anschaulicheren Ausdruck" als den der Macht, meinte 1960 Elias Canetti - und Theodor W. Adorno erblickte im Verhältnis des Dirigenten zu Orchester und Publikum das Modell einer autoritär verfassten Gesellschaft.

Der Taktstock-Diktator hielt sich weit ins 20. Jahrhundert hinein, indem Pultstars wie Arturo Toscanini oder Herbert von Karajan den Mythos zusätzlich fütterten. Und noch weit nach dem Zweiten Weltkrieg war der Dirigenten-Mythos unangreifbar. Dass er zu bröckeln begann, war mitunter ein Verdienst der Frauen, der Dirigentinnen. Sie verstanden sich und verstehen sich heute noch eher als primus inter pares, dem es um ein kollegiales gemeinsames Musizieren geht.

Dirigentinnen sind heute zwar so präsent wie noch nie, doch immer noch unterrepräsentiert. In Österreich sind kaum Dirigentinnen in der Orchester-Landschaft anzutreffen und müssen sich weiterhin gegen hartnäckige Vorurteile vor allem am Pult großer Orchester behaupten. An den Hochschulen und Universitäten gibt es zwar weiblichen Nachwuchs im Fach Orchesterdirigieren, aber er ist klein. Dirigentinnen hängt immer noch die Etikettierung der Exklusivität nach, auch wenn die Kategorie "Geschlecht" immer mehr an Bedeutung verliert.

Verena Gruber beleuchtet unter dem Titel "Dirigentinnen. Jenseits von Macht und Maestro" das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Sendung sucht in einem historischen Rückblick nach den Spuren der ersten Dirigentinnen der Musikgeschichte, zeichnet den steinigen Weg von Frauen am Pult des 19. und 20. Jahrhunderts nach, wirft einen Blick auf die österreichische Orchesterlandschaft und die Ausbildungsstätten, um schließlich die erfolgreichen Nachwuchsdirigentinnen unserer Tage zu porträtieren.

Es kommen unter anderem Musikwissenschafterinnen und Soziologinnen wie Anke Steinbeck, Michaela Krucsay, Annegret Huber oder Eva Rieger zu Wort, ebenso sprechen Elisabeth Attl, Elisabeth Schmitt, Kristiina Poska, Giedre Skelyte und Oksana Lyniv als Dirigentinnen, Studierende und Lehrende der Musikhochschulen.

Service

Teil 1 und 2:
Anke Steinbeck: Jenseits vom Mythos Maestro. Dirigentinnen für das 21. Jahrhundert. Köln 2010
Die Dirigentin. Geschlechterkampf im Orchestergraben? in: Österreichische Musikzeitschrift. 70/2015, Heft 3. Hrsg: Europäische Musikforschungsvereinigung Wien
Elke Mascha Blankenburg: Dirigentinnen im 20. Jahrhundert. Portraits von Marin Alsop bis Simone Young. Hamburg 2003

Sophie Drinker Institut
Archiv Frau und Musik
musica femina münchen e.V.

Archiv Frau und Musik in Österreich: Kontakt Elena Ostleitner

Teil 3:
Kristiina Poska
Oksana Lyniv
Giedré Slekyté

Teil 4:
Dirigentenausbildung an der mdw

Sendereihe

Gestaltung

  • Verena Gruber