Radiokolleg - Der visionäre Moralist

Zum 500. Todestag des niederländischen Malers Hieronymus Bosch (3). Gestaltung: Nikolaus Halmer

Hieronymus Bosch ist der Maler der Monster und Dämonen, der Heiligen und Narren. Seine rätselhaften Werke zeigen eine grotesk-visionäre Welt mit metaphorisch-religiösen Bezügen. An der Epochenschwelle des ausgehenden Mittelalters zur Neuzeit präsentierte Bosch in seinen Gemälden ein Panoptikum von phantastischen Gestalten. Hybridwesen von Mensch und Tier, schleimig glänzende Reptilien, Kreaturen mit Vogelleibern und Brillen und seltsame Baummenschen bevölkern eine traumatisierende Bilderwelt. Bosch "sei der größte Schöpfer von Träumen und Alpträumen, die sich für immer in unser Gedächtnis eingeschlichen haben", schrieb der spanische Schriftsteller Rafael Alberti. Dazu kommen noch die Höllendarstellungen von Bosch, die zu den beeindruckendsten Visionen in der Geschichte der abendländischen Malerei zählen: Da werden nackte Männer über Messerklingen gezogen oder von Monstern mit Krötenköpfen verschlungen. Monströse Ungeheuer - mit Messern bewaffnet - zermalmen sündige Menschen; ein überdimensionierter Hase schleppt den erlegten Jäger an einer Stange davon; ein dürres, blaues Monster sitzt auf einem Toilettenstuhl, schiebt sich die Verdammten in den Schnabel und scheidet sie wieder aus.

Die surreal anmutende Bilderwelt von Bosch hat einen theologischen Hintergrund. Das gesamte dargestellte dämonische Bedrohungsarsenal soll veranschaulichen, was mit den Menschen geschieht, die den Heilspfad christlicher Tugenden verlassen. Der Mensch, der auf seinem Lebensweg immer wieder vor moralischen Prüfungen steht, der zwischen Gut und Böse wählen muss, ist das zentrale Thema, das sich durch das Werk von Hieronymus Bosch zieht. Immer wieder stehen die sieben Todsünden im Mittelpunkt der Gemälde. Im Triptychon "Der Heuwagen", das auf das flämische Sprichwort zurückgeht, in dem das Leben als ein Heuberg dargestellt wird, von dem jeder versucht, möglichst viel davon abzubekommen, wird die Jagd nach immer mehr satirisch dargestellt. Das Heu - wohl ein Synonym für das Geld - ist das Symbol für das höchste Gut, für das Menschen zu jeder Schandtat bereit sind. Sie streiten, morden und bekriegen einander mit Heugabeln und Spießen; alle gesellschaftliche Gruppierungen sind an diesem Kampf aktiv - von den Bauern über die Adeligen bis zum Kaiser. Aber auch die Repräsentanten der Kirche beteiligen sich an dem Tanz um das goldene Kalb. So zeigt Bosch ein Schwein im Nonnenhabit, das versucht, einen Mann zu verführen.

Neben den moralisierenden Deutungen menschlicher Verfehlungen widmete sich Bosch der Darstellung des Lebens von Jesus Christus und seiner Leidensgeschichte. Auch Heilige und Einsiedler zählten zu den Sujets, die den sündigen, moralisch korrumpierten Menschen als Vorbilder dienen sollten. In diesen Bildern wird eine Gegenwelt gezeigt, die den Sündenpfuhl der weltlichen Ausschweifungen transzendiert. Die Eremiten und Heiligen haben Anteil an einer Welt des Spirituellen, die jenseits der materiell-sinnlichen Welt existiert, der es zu entkommen gilt.

Service

Nils Büttner: Hieronymus Bosch, C.H.Beck Verlag
Matthijs Ilsink/Jos Koldeweij: Hieronymus Bosch. Visionen eines Genies, Belser Verlag
Stefan Fischer: Hieronymus Bosch. Das vollständige Werk, Taschen Verlag
Stefan Fischer: Im Irrgarten der Bilder. Die Welt des Hieronymus Bosch, Reclam Verlag
Stefan Fischer: Hieronymus Bosch. Malerei als Vision, Lehrbild und Kunstwerk, Böhlau Verlag
Cees Nooteboom: Reisen zu Hieronymus Bosch. Eine düstere Vorahnung, übersetzt von Helga van Beuningen, Schirmer/Mosel Verlag
Erasmus von Rotterdam: Das Lob der Torheit, Reclam Verlag, Band 1907
Gustav Flaubert: Die Versuchung des Heiligen Antonius, Diogenes Verlag
Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Studienausgabe, Reclam Verlag

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