Dimensionen - die Welt der Wissenschaft

Es fährt ein Zug nach Nirgendwo. Ist der deutsche Schlager noch zu retten oder ist er für immer dazu verdammt, in der Ballermann-Hölle zu schmoren?Versuch einer fairen Bestandsaufnahme von Thomas Mießgang.

Der Schlager ist ein Begleiter zeitgenössischer Lebenswelten - von der gemeinen Fernwehschnulze aus den 1950er Jahren bis zum Techno-Schlager der Gegenwart. Progressiven Geistern, vor allem aus dem Milieu der 68er, galt diese Musik mit ihrer primitiven musikalischen Struktur und ihren eskapistischen Texten als reaktionär. Sie konnten sich dabei auf die Kritische Theorie und vor allem auf Theodor W. Adorno berufen, der geschrieben hatte, dass Schlager "die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle beliefern, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal sagt, sie müssten sie haben." Schlager somit als Surrogat für das vermeintlich Authentische, Unverfälschte, als "Ersatz für das real Versagte." Doch schon damals, in der großen Zeit der Kritik an der Kulturindustrie, gab es auch Geister, die solche simplen kulturpessimistischen Deutungen nicht zulassen wollten. "Bestimmte Melodien, die in der Tonart ,Unwiederbringlichkeit' geschrieben sind," schrieb beispielsweise der Musiksoziologe Hans Egon Holthusen schon in den 1960er Jahren, "die Trauer um das verwürfelte Spiel der Jugend, die vergeudete Zukunft, verlorene Liebe und verschwendete Zeit - dies alles kann in der schlechthin sterblichen Musik der Saison vielleicht intensiver erlebt werden als in der großen Musik der Genialen." Holthusen bricht eine Lanze für das Klischee, das eine Partizipation an etwas erlaubt, das man noch nicht einmal selbst erlebt, geschweige denn erlitten haben muss, und das in seiner holzschnittartigen Vergröberung einen sozialen Raum begründet, der zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Trauma und Erlösung vermittelt - und das unter höchster affektiver Entladung.

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