Zwischenruf

von Oberkirchenrat Johannes Wittich (Wien)

Was war das doch für eine Erleichterung letzte Woche, als, endlich, endlich, doch noch eine Olympiamedaille für Österreich gewonnen werden konnte - nach langem Hoffen und Bangen, und einer Serie von enttäuschten Erwartungen.

"Jetzt ist der Bann gebrochen", kommentierte der Präsident des ÖOC, des Österreichischen Olympischen Komitees, den Erfolg. Eine nachvollziehbare Reaktion, wissen wir doch alle, wie sehr ein einziges Erfolgserlebnis nach einer langen Durstrecke alles verändern kann, vor allem mental. Man traut sich wieder etwas zu. Man wagt wieder zu hoffen.

Bleibt es bei Misserfolg und Frustration, dann ist eine andere mentale Strategie gefragt: akzeptieren der Tatsachen, Anpassen an die Gegebenheiten, Lernen, mit dem Faktischen zu leben und umzugehen. "Bewältigungsstrategie" wird das in der Psychologie genannt.

Nach "Bewältigungsstrategie" hat für mich ein anderes Zitat des ÖOC-Präsidenten ein paar Tage vorher geklungen. Nämlich als zur Halbzeit der Olympischen Spiele Bilanz gezogen werden musste angesichts immer wieder recht knapp enttäuschter Medaillenhoffnungen. Da hieß es noch vom selben Funktionär: "Olympische Spiele sind kein Wunschkonzert." Eine Einsicht, die sozusagen schon die "Rutsche gelegt" hat für den Fall, dass es auch bis zum Ende der Spiele keine österreichische Medaille geben würde.

Auch wenn das ketzerisch klingen mag: Ich hätte es gar nicht so schlecht gefunden, hätte es auch weiterhin keine Medaille für Österreich gegeben. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich gönne jedem Athleten und jeder Athletin von Herzen das Erreichte und habe größten Respekt vor den erbrachten Leistungen - allerdings unabhängig davon, aus welchem Land der jeweilige Sportler, die jeweilige Sportlerin kommt. Die nationale Vereinnahmung eines Erfolges Einzelner, die halte ich für verzichtbar.

Wenn darauf nämlich verzichtet wird, dann kann so ein Ereignis wie Olympische Spiele auch noch aus anderer Perspektive gesehen werden, ungetrübt von Medaillenspiegeln und Statistiken, sortiert nach Nationalitäten. Dann wird vielleicht ein wenig besser spürbar, was olympischen Geist wirklich ausmacht. Nicht Nationen in Konkurrenz miteinander, sondern ein Zusammentreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft zu einem verbindenden Friedensprojekt auf sportlicher Basis. Dann bekommen auch die Ereignisse neben und am Rande der Wettbewerbe einen neuen Stellenwert. Wie das gemeinsame Selfie einer nord- und einer südkoreanischen Athletin, Vertreterinnen zweier Staaten, die offiziell im Kriegszustand miteinander sind. Oder wie das Antreten einer kleinen Mannschaft von Staatenlosen, von Flüchtlingen, also von Menschen, die ihre Heimat gar nicht vertreten können, selbst wenn sie es gewollt hätten.

Das sind für mich die Momente, in denen wirklich ein Bann gebrochen wird. In den Köpfen von Menschen. Da bewirkt Olympia etwas. Da darf Olympia durchaus ein "Wunschkonzert" sein: eine Präsentationsplattform für das, was uns als Menschen bei so einem Anlass verbindet: Freude am friedlichen Wettbewerb, Träume, ein lang ersehntes Ziel zu erreichen - und die vielen kleinen Geschichten am Rande der großen Bewerbe, von den Underdogs, die ihre große Stunde haben, oder den Momenten von Fairness und Respekt mitten in einer sportlichen Konkurrenzsituation.

Da geht es dann letztlich nicht mehr um Sieg oder Niederlage. Die Ersten werden die Letzten sein, heißt es, so oft zitiert, dass den wenigsten noch bewusst ist, dass dieser Satz von Jesus stammt und in der Bibel steht. Unter diesen jesuanischen Voraussetzungen sind auch bei Olympia nicht Sieg oder Niederlage, gerade noch Medaille oder doch nur vierter Platz das Bestimmende. Sondern die verwirklichten und umgesetzten Träume von einem guten Miteinander von Menschen, auch und besonders im Rahmen eines olympischen Großereignisses.

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