Gedanken für den Tag

8. September 2016, 06:56

Angelica überall

Die Sozialarbeiterin Angelica, die ein Hilfsprojekt für arme Familien im rumänisch-moldauischen Grenzgebiet plant und Concordia um Unterstützung gebeten hat, bringt uns zu einem überraschend schönen Haus.

Es hat nichts zu tun mit den Baracken, die wir immer wieder gesehen haben. Ein stattliches, altes Gebäude, reich verziert. Eine Frau mit einem kleinen Kind kommt an die Gartentür und wird gefragt, ob sich die Mitarbeiter von Concordia ein Bild machen dürfen. Die Frau ist rot im Gesicht und verschwollen und verweint, das Kind apathisch und an der Grenze der Unterernährung. Wir können nicht ins Haus, weil der Mann betrunken ist und jetzt eingeschlafen. Er hat sie bedroht. Sie hat Angst.

Wir besprechen Sofortmaßnahmen, um die Situation zu entschärfen. Es gibt da keine Frauenhäuser und keine Krisenzentren und die Krankenhäuser sind weit weg. Hier - in der ärmsten Region an der Grenze zu Moldau - ist die Sozialarbeiterin Angelica für tausende Menschen zuständig. Sie hat es geschafft, eine kleine Gruppe Freiwilliger um sich zu scharen. Sie berichtet, dass es hier kein gesetzliches Wegweiserecht gibt. Wir überlegen, als Übergangslösung die geschlagene Frau und ihr Kind gleich mitzunehmen in eines unserer Sozialzentren.

Zu unserer Abschlussbesprechung hat Angelica Kuchen gebacken. Ich sage ihr, wie sehr mich ihre Arbeit beeindruckt. Sie bedankt sich und erzählt, dass sie früher künstlerische Ambitionen hatte. Jetzt nützt sie ihr Talent für Farben und Formen zu kleinen Basteleien, die sie gemeinsam mit ihren Helferinnen und den Kindern herstellt. Zum Beispiel kleine Puppen mit einem weichen, wattierten Kugelbauch, einem freundlichen Gesicht und langen Haaren. 20 Puppen hat sie schon gemacht. Eine kriege ich geschenkt. Ich bin ganz entzückt und die Puppe bekommt einen Ehrenplatz auf meinem Schreibtisch.

Auf der Fahrt nach Bukarest halte ich die Puppe in der Hand und in diesem Moment habe ich das Gefühl, etwas zu begreifen. Die Puppen sehen eigentlich genauso aus wie Angelica. In all ihrer zeitweiligen Überforderung hat sie sich selbst gleichsam vervielfacht zu einem Spielzeug, zu einem hübschen, aber hilflosen Wesen. Vielleicht ist diese Anmutung ein komischer Gedanke, aber ich bin so berührt und gerührt von dieser schwachen, starken Frau. Wir werden ihr helfen, ihre Probleme zu lösen und den Kindern eine Perspektive zu geben und einen sicheren Ort. Weichheit und gute, nährende, mütterliche Zuwendung - das symbolisieren diese Puppen und ihre Schöpferin, denke ich mir jeden Tag.

Service

CONCORDIA Sozialprojekte

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler