Gedanken für den Tag

von Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien. "Worauf es ankommt". Gestaltung: Alexandra Mantler

Polarisierung

In den vergangenen Monaten hatte ich oft den Eindruck: Österreich, das ist nicht das Land der Berge, sondern das Land der Gräben. In Lager gespalten, zerklüftet und polarisiert.

Licht und Schatten. Hasspostings im Internet und engagierte Hilfe in den Notquartieren. Es ist ein Bild von der Gesellschaft, das zuletzt so oft gezeichnet wurde. So oft, dass ich begonnen habe, selbst daran zu glauben.

Doch als ich dann vor wenigen Tagen zum ersten Mal wieder am Westbahnhof stand und in mir die vielen Bilder von geflohenen Menschen, von Helferinnen und Helfern, von ankommenden Zügen und nahenden Hilfskonvois aufstiegen - da wusste ich: In der Bevölkerung war die Euphorie damals vor einem Jahr vielleicht nicht ganz so groß wie viele - auch ich - erhofft hatten.

Doch gleichzeitig bin ich überzeugt: Die Stimmung in unserem Land ist auch heute nicht so schlecht, wie viele Untergangspropheten befürchten. Ja, es gibt nicht wenige Stimmen, die das christliche Abendland in Gefahr wähnen. Mitunter auch Stimmen von Menschen, die sich selbst längst vom Christentum entfernt haben. Aber ich bin überzeugt, es verhält sich genau umgekehrt: Das christliche Abendland wäre in Gefahr, würden wir uns den aktuellen Herausforderungen nicht stellen - mit Menschlichkeit und Nächstenliebe.

Und ich meine hier nicht nur die vielen Menschen, die bei uns Zuflucht gefunden haben. Ich meine auch die Hilfe für all jene Menschen, die heute von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Menschen, die Pflege benötigen. Menschen an den Rändern der Gesellschaft und des Lebens. Wir sind in Wirklichkeit hineingestellt - wie auch immer sie nun beschaffen sein mag. Und unsere Aufgabe ist es, mit dieser Wirklichkeit auf menschliche Art und Weise umzugehen. Dort zu helfen, wo wir gefordert sind.

Schaffen wir das? Ich glaube Ja, zumindest dann, wenn Polarisierung und Spaltung nicht die Oberhand gewinnen; wenn wir uns daran erinnern, dass sich die Würde des Menschen nicht spalten lässt - dass die Würde des Menschen unteilbar ist.

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Titel: GFT 160921 Gedanken für den Tag / Klaus Schwertner
Länge: 03:49 min

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