Rudolf Taschner

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Gedanken für den Tag

von Rudolf Taschner, Mathematiker. "Ermutigungen" - Fünf zumutbare Glaubensweisen. Gestaltung: Alexandra Mantler

Über den Glauben an den Genuss

"Ich taufe dich Fisch", sprach der heilige Thomas von Aquin weihevoll zu dem, einen riesigen Teller bedeckenden köstlichen Kotelett, und dies an einem Freitag, an dem nach alter kirchlicher Tradition Fleisch zu essen verboten war. Und dann langte er zu.

Er wusste in der Tat zu genießen. Dass Thomas sich des Genusses willen über die Vorschriften engherziger Spießer souverän hinwegsetzte, macht ihn uns sympathisch. Denn mit diesem Wesenszug steht Thomas für den edlen Genuss. Es ist dies jener kluge und ungetrübte Glaube, der sowohl die Verblendung der Süchtigen als auch die Unduldsamkeit der Asketen zu meiden weiß. Thomas ließ sich vom Streben nach Genuss nicht zum Sklaven machen. Er genoss stilvoll und elegant.

Stil und Eleganz sind heute fast verloren gegangene Begriffe. Mit dem Verlust von Feinheit und Geschmack treten wir in eine Ära ein, die Nietzsche als "Zeit des verächtlichsten Menschen prophezeite, der sich selber nicht mehr verachten kann". Der von Nietzsche so erahnte "letzte Mensch", dem wir gegenwärtig auf Schritt und Tritt begegnen, behauptet zwar, an den Genuss zu glauben, aber er hat in seiner derben Art und seinen schmierigen Funktionskleidern jeglichen Sinn für Formvollendung verloren. Er verzehrt, aber er weiß nicht zu verkosten. Er schlürft, aber er weiß nicht zu nippen. Er kopuliert, aber er weiß nicht zu flirten. Er entwürdigt alles Genussvolle mit schalem Konsum, rühmt sich zwar, aus vollen Zügen zu genießen, obwohl er das ihm Angebotene in geistlosester, vulgärster Oberflächlichkeit verbraucht. Und er schämt sich dessen nicht, weil es Horden Gleichgesinnter in aller Offenheit genauso tun.

Was umso tragischer ist, als uns nur ein kurzer Tag des Genusses gegönnt ist, dem eine Nacht der Ungewissheit folgt.

Service

Rudolf Taschner, "Woran glauben - 10 Angebote für aufgeklärte Menschen", Verlag Brandstätter

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart/1756 - 1791
Titel: Concertone in C-Dur KV 190 (186E) für 2 Violinen, Oboe, Violoncello und Orchester
* Allegro spirituoso - 1.Satz (00:09:03)
Solist/Solistin: Franco Gulli /Violine
Solist/Solistin: Piero Toso /Violine
Solist/Solistin: Paolo Brunello /Oboe
Solist/Solistin: Gianni Chiampan /Violoncello
Orchester: Kammerorchester von Padua und Venedig
Leitung: Bruno Giuranna
Länge: 09:03 min
Label: Claves 508707

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