HELMUT MITTER

Gedanken für den Tag

von Uwe Mauch, Journalist beim Kurier. "Jenseits der Behaglichkeit" - Arm in Österreich. Gestaltung: Alexandra Mantler

15. Dezember 2016, 06:56

Es ist eine jener Dezembernächte, in denen der Regen noch vor Mitternacht in Schneerieseln übergeht. Daher hat er sein dünnwandiges Mini-Zelt unter der Reichsbrücke aufgeschlagen. Die Brücke soll ihm Schutz gegen die Nässe und den eisigen Westwind bieten.

"Hallo, Klaus, bist du es?" Erst ist seine rechte Hand zu sehen, die den Zippverschluss öffnet, dann kommt sein Kopf zum Vorschein, dann seine bloßen Füße, dann springt der kleine Schufti bellend ins Freie.

Ja, der Klaus schläft auch heute Nacht unter der Brücke. Sein Dialekt verrät, dass er aus Kärnten kommt. Seine Lebensgeschichte lässt eine Kette von Enttäuschungen erahnen: Die Mutter ist früh gestorben, mit dem Bruder gab es Streit, und den Rechtsanwalt der Familie will er auch nicht mehr sehen. Denn der rechnet ihm nur seine Schulden vor.

"Im Schlafsack ist mir nicht kalt", beteuert der junge einsame Mann. Um sich vor dem Bodenfrost zu schützen, hat er unter dem Zelt Pappendeckel aufgelegt. Nur noch wenige Nächte bis Weihnachten. Die Sozialarbeiterin Susanne Peter und die Ärztin Brigitte Hotz bieten ihm heute eine Isomatte an. Die er gerne annimmt. Auf die Frage, was er sich sonst noch wünscht, sagt der Klaus: "Dass ich das Geld noch zusammen bekomme, damit ich zu Weihnachten mit dem Schufti im Hotel schlafen kann."

Donauinsel und Donaubrücken sind Fixpunkte auf der nächtlichen Tour mit dem Kältebus der Caritas. Während sich die Armut in einer der reichsten Städte der Welt tagsüber so gut wie möglich versteckt oder sich verschämt nur am Rande zeigt, begegnet sie einem hier nach Einbruch der Dämmerung auf Schritt und Tritt.

Beziehungsarbeit, so lautet das Motto der Sozialarbeiterin und der Ärztin. Und ich frage mich in dieser Winternacht schon seit Stunden, woher die beiden Frauen ihren Glauben an das Gute nehmen.