Zwischenruf

Johannes Wittich über Terror

Von Terror und den Anti-Terror-Strategien aus der Frühzeit der Israeliten erzählt der evangelisch-reformierte Oberkirchenrat Johannes Wittich. - Gestaltung: Martin Gross

Und wieder ist es passiert: Ein Auto rast in eine Menschenmenge, an einem belebten Platz, mitten hinein in eine fröhliche, gelassene, entspannte Stimmung. Schlagartig ist alles anders: Panik, Schreie, Verletzte, ja sogar Tote, Polizei, Einsatzkräfte - und die ersten Versuche zu analysieren, was geschehen ist. Mehr noch: Versuche, zu verstehen, was da jetzt wirklich los war.

Denn das ist ja genau die Strategie hinter solchen Attentaten. Verwirrung zu stiften, Menschen das Gefühl zu geben, dass alles aus dem Ruder gelaufen ist, die Kontrolle verloren wurde, besonders jenen Menschen, die gar nicht direkt von dem Attentat betroffen sind. Das Gefühl zu vermitteln: Es kann jeder und jedem von uns passieren, überall, vor allem da, wo am allerwenigsten damit gerechnet wird. Es kann so leicht passieren, - es braucht nur ein Auto oder ein Messer und einen irregeleiteten Fanatiker. Und schließlich: Niemand kann uns schützen: Politik, Sicherheitskräfte, alle unfähig, überfordert.

"Ermittlungspanne" - das Lieblingswort in der Berichterstattung nach solchen Vorfällen.
Womit die Strategie des Terrors wunderbar aufgeht. Einfache Erklärungen, einfache Lösungsvorschläge, sind letztlich nichts anderes als Panikreaktionen. Und spielen den Akteuren des Terrors in die Hände.

Umso wichtiger, und das geschieht ja zum Glück auch, ist es in solchen Situationen, auch die Gegenbilder in den Köpfen der Menschen zu aktivieren. Eine Trauerkundgebung, bewusst am Ort des Geschehens, der gerade noch Symbol dafür war, wie leicht verwundbar große Menschenansammlungen sind. Mit einer klaren Ansage: Wir lassen uns nicht einschüchtern, wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. Und dann ganz normal weiterleben. Nicht, als ob nichts geschehen sei. Sondern, ganz bewusst, obwohl etwas geschehen ist.

Im biblischen Buch Richter, im Ersten Testament, gibt es eine Geschichte aus der Frühzeit des Volkes Israel. Es geht um ein Nachbarvolk, das die Israeliten in regelmäßigen Abständen überfällt und die Ernte und die Herden vernichtet. Also nicht Beute macht, auch nicht sein Territorium vergrößern möchte, sondern ganz einfach die Angegriffenen in einen Zustand der Dauerangst versetzen möchte. Eine, so würden wir es heute nennen, Strategie des Terrors.

Im weiteren Verlauf der Geschichte überlegen sich die Israeliten, wie mit der Situation umzugehen ist. Es wird versucht, sich mit der Situation zu arrangieren - es wird versucht, die Ernteerträgnisse zu verstecken, damit sie den Angreifern nicht in die Hände fallen. Man überlegt militärische Optionen, ist sich aber bewusst, hier nicht wirklich eine Chance zu haben.

Letztlich holen sich die Israeliten ihre Hilfe von außen, und die ist für sie, ganz klar, bei Gott zu finden. Und Gott bestimmt in der Erzählung einen Anführer, Gideon, der die militärische Option umsetzen soll. Eine Option, die eigentlich keine ist, ist man doch dem Gegner dramatisch unterlegen.

Der wird aber dann trotzdem in die Flucht geschlagen. Durch eine List, die ganz wie ein Märchen klingt. Eine bewusst kleine Schar der Israeliten greift in der Nacht an, macht so viel Lärm, dass man sie für mehr hält, als sie tatsächlich sind und stiftet dadurch Verwirrung. Die so Angegriffenen fallen in ihrer Konfusion erst übereinander her, um dann schließlich die Flucht zu ergreifen.

Wie gesagt, eine märchenhaft einfache Geschichte. Die, so denke ich, aber bewusst immer und wieder erzählt wurde, bis sie dann in unserer heutigen Bibel einen Platz gefunden hat. Immer wieder erzählt, um sich über einen vermeintlich übermächtigen Gegner lustig zu machen, um Terroristen ins Lächerliche zu ziehen, um sie zu demaskieren und die Angst vor ihnen zu nehmen.

Für die gläubigen Menschen, die diese Geschichte erzählt haben, war diese natürlich ein Beispiel für ein göttliches Wunder. Ein Wunder, das auch heute, denke ich, geschehen kann, wenn bewusst Handlungen gesetzt werden, mit denen die Fädenzieher und Ausführenden des Terrors niemals gerechnet hätten: So wie in Spanien, wo die Familien der Attentäter eine kleine Kundgebung organisiert haben. Um sich ganz deutlich zu distanzieren.
Wodurch dann vorschnelle und vereinfachende Erklärungsmuster aufgebrochen werden. Plötzlich ist es nicht mehr ein monolithischer Block namens Islam, der unsere Gesellschaft gefährdet. Sondern die Taten einzelner Fanatiker. Und plötzlich stehen die Terroristen ziemlich demaskiert da. Ihr Ziel wurde nicht erreicht, die Sinnlosigkeit und Absurdität ihres Tuns ist offensichtlich.

Sendereihe

Gestaltung