Michael Donhauser

STEFAN SCHERHAUFER

Gedanken für den Tag

Michael Donhauser über Adalbert Stifter

"Sätze lesen". Der Schriftsteller Michael Donhauser über Adalbert Stifter, dessen Todestag sich zum 150. Mal jährt. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Sie sahen das Mädchen über die Sandlehne empor gehen, und sahen es seitdem nie wieder." Dieser Satz aus der Erzählung Katzensilber von Adalbert Stifter lässt in seinem ersten Teil ein Bild entstehen, das so in der Erzählung zu wiederholtem Male schon entstanden ist und also trotz des herzzerreißenden Abschieds, der diesem Satz vorausgeht, die Erwartung weckt, dass dieses Bild, das von dem über die Sandlehne emporgehenden Mädchen, sich auch in der Zukunft wiederholen wird.

Denn Vertrauen stellt sich durch Wiederholung ein, und indem Adalbert Stifter noch und noch wiederholt, nämlich Beschriebenes und Erzähltes in Variationen wiederholt, schafft er eine Welt gegen den Verlust, eine Welt allerdings, die nie manifest, sondern immer bedroht ist von dem, was hier mit den beiden Worten nie wieder gesagt wird. Es wiederholt sich in diesem Satz sehr wohl das Sehen, wenn er lautet: "Sie sahen das Mädchen über die Sandlehne empor gehen, und sahen es seitdem nie wieder." Doch dieses Sehen ist eines, das gerade als wiederholtes die Unzuverlässigkeit des Gesehenen miteinschließt, denn das Mädchen ist im zweiten Teil des Satzes zwar noch ein es, doch als solches schon nur mehr Nachbild des über die Sandlehne emporgehenden Mädchens.

Mit den Worten nie wieder aber wird dieses Nachbild gerade durch die so verbürgte Unwiederholbarkeit in einer Weise unvergesslich, wie dies durch keine Wiederholung möglich war. Das heißt: Die Wiederholung des über die Sandlehne emporgehenden Mädchens in der Erzählung Katzensilber erreicht, was sie sucht, nämlich ein Bleibendes, gerade in der Negation der Wiederholung, in der Verneinung des Wieder durch ein Nie. Denn das Gesuchte, das Bleibende, ist entgegen allen Bemühungen gerade als Verlorenes das Wiedergefundene: als Nachbild unvergänglich.

Service

Buch, Michael Donhauser, "Waldwand", Verlag Matthes & Seitz

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Antonio Vivaldi/1678 - 1741
Titel: Konzert für Flöte, Violine, Streicher und Cembalo in g-moll RV 517
* Andante - 2.Satz (00:01:59)
Doppelkonzert
Solist/Solistin: Jean Pierre Rampal /Flöte
Solist/Solistin: Isaac Stern /Violine
Orchester: Franz Liszt Kammerorchester
Leitung: Janos Rolla
Länge: 02:00 min
Label: Sony SK 45867

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