Bewaffnete Truppen werden in Linz bejubelt

AP

Radiokolleg Spezial - "Anschluss" 1938

Stationen einer Machtübernahme. Mit Beiträgen von Günter Kaindlstorfer, Tanja Malle, Marlene Nowotny, Uli Jürgens und Wolfgang Ritschl

Station 2: Die Einverleibung. Von der Übernahme der Institutionen.

Als am 12. März 1938 die deutsche Wehrmacht einmarschiert, ist Österreich keine wehrhafte Demokratie. Das austrofaschistische Ständestaatsregime, das seit 1933 an der Macht ist, hat die Institutionen der noch jungen Ersten Republik bereits drastisch umgebaut und politische Gegner inhaftiert. Die Institutionen sind geschwächt, Parlament und Verfassungsgerichtshof ausgeschaltet. Die Nationalsozialisten beginnen sogleich damit, Vereine, Verbände und Organisationen mit jenen des Deutschen Reiches gleichzuschalten, so etwa den Sicherheitsapparat, berichtet Marlene Nowotny.



Das Bundesheer wird innerhalb von zwei Wochen in die Wehrmacht eingegliedert und Offiziere, die sich weigern, einen Eid auf Adolf Hitler zu schwören, werden pensioniert.
Einen Spezialfall stellt das Verhalten der katholischen Kirche dar, dem sich Tanja Malle in ihrem Beitrag widmet. Während Kardinal Innitzer anlässlich des Einmarsches der Wehrmacht in Wien zu deren Ehren die Kirchenglocken läuten lässt und Adolf Hitler einen offiziellen Besuch abstattet, wenden sich einzelne Geistliche offen gegen die Nationalsozialisten und riskieren dafür ihr Leben.

Besonderes Augenmerk legen die Nazis auf die Gold- und Devisenreserven, die Bodenschätze und die Industrie Österreichs. Der Grund: Der Goldbestand der Österreichischen Nationalbank im Wert von 2,7 Mrd. Schilling, ist 18 Mal so hoch wie die deutschen Währungsreserven. Diesem Raubzug der Nazis widmet sich Günter Kaindlstorfer in einem Beitrag. Nach und nach werden die Vorstände von Industriebetrieben, Banken und Versicherungen mit regimetreuen Personen besetzt, die gemäß der rassistischen Naziideologie als arisch gelten. Betriebe, die im Eigentum von jüdischen Österreichern sind, werden sofort unter kommissarische Verwaltung gestellt und sukzessive enteignet. Federführend für die Beraubung der jüdischen Bevölkerung zuständig ist der Jurist Walter Kastner, der den Nationalsozialisten bereits in der Verbotszeit nahe gestanden war. Er verantwortet die Zwangsenteignung und den Verkauf von mehr als 100 industriellen Großunternehmen und Großhandelsfirmen. Seiner Nachkriegskarriere tut das keinen Abbruch, er wird nach Kriegsende Professor an der heutigen WU, wo er nach wie vor ein Ehrendoktorat hält.

Wie die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme ihre Herrschaft auf Dauer abzusichern versuchten, erzählt im Studiogespräch mit Wolfgang Ritschl der emeritierte Zeithistoriker Gerhard Botz. Und Uli Jürgens schildert in ihrem Musikbeitrag, wie sich die Nationalsozialisten kulturelle Institutionen wie die Staatsoper einverleibt haben und Jüdinnen und Juden, sowie homosexuelle Personen aus dem Musikbetrieb entfernten.

Moderation: Wolfgang Ritschl
Redaktion: Tanja Malle und Ina Zwerger

Service

LITERATUR:

Kurt Bauer: "Die dunklen Jahre. Politik und Alltag im nationalsozialistischen Österreich 1938 -1945", Fischer Verlag

Gerhard Botz: "Nationalsozialismus in Wien. Machtübernahme, Herrschaftssicherung, Radikalisierung, Kriegsvorbereitung. 1938/39", Mandelbaum Verlag

Manfred Flügge: "Stadt ohne Seele. Wien 1938", Aufbau Verlag

Herbert Dohmen und Nina Scholz: "Denunziert", Czernin Verlag

Winfried Garscha, Heinz Arnberger, Christa Mittrrutzner: "Anschluss 1938. Eine Dokumentation", Österreichischer Bundesverlag 1988

Gerhard Jelinek: "Es gab nie einen schöneren März: 1938", Amalthea Verlag

Stefan Karner: "Die umkämpfte Republik", Studien Verlag
Walter Kohl: "Die dunklen Seiten des Planeten: Rudi Gelbard, der Kämpfer", Verlag Franz Steinmaßl

Claudia Kuretsidis-Haider "Österreichische Pensionen für jüdische Vertriebene. Die Rechtsanwaltskanzlei Ebner: Akteure Netzwerke Alte, DÖW

Mathias Lichtenwagner: "Belasteter Beton. Formen der Erinnerung an Orten der NS-Militärjustiz in Wien. In: Juliane Alton et al: "Verliehen für die Flucht vor den Fahnen" Das Denkmal für die Verfolgten der NS-Militärjustiz in Wien, Wallstein Verlag

Maximilian Liebmann: ""Heil Hitler" - Pastoral bedingt", Böhlau Verlag

Ursula Mindler-Steiner "Die jüdische Bevölkerung besitzt wie bekannt großes Anpassungsvermögen...". Juden und Jüdinnen von Oberwart/Felsöör und ihre gesellschaftlich-kulturellen Verortungen. In: Martin Przybilski / Carsten Schapkow (Hgg.), Konversion in Räumen jüdischer Geschichte (= Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften Bd. 11). Wiesbaden 2014

Wolfgang Neugebauer, Thomas Mang, Elisabeth Boeckl-Klaper: "Gestapo Leitstelle Wien 1938 - 1945", Edition Steinbauer (erscheint im Mai 2018)

Hans Petschar: "Anschluss. Eine Bildchronologie", Brandstätter Verlag

Oliver Rathkolb: "Die paradoxe Republik: Österreich 1945 bis 2015", Zsolnay Verlag

Manfried Rauchensteiner: "Unter Beobachtung. Österreich seit 1918", Böhlau Verlag

Horst Schreiber (Hg.): "1938 - Der Anschluss in den Bezirken Tirols", Studien Verlag

Hans Schafranek: "Widerstand und Verrat", Czernin Verlag

Hans Schafranek und Herbert Blatnik: "Vom NS-Verbot zum Anschluss - Steierische Nationalsozialisten 1933-1938", Czernin Verlag

Holger Scheaeben: Am Nachmittag kommt der Führer. Schicksalsjahr 1938, Theiss Verlag

Emmerich Talos / Florian Wenninger: "Das austrofaschistische Österreich 1933 - 1938", LIT Verlag

Heidemarie Uhl: "Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese. Transformationen des "österreichischen Gedächtnisses", in: Monika Flacke (Hg.), Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen", Deutsches Historisches Museum Berlin (Ausstellungskatalog)

Peter Pirker: "Subversion deutscher Herrschaft. Der britische Kriegsgeheimdienst SOE und Österreich", Vienna University Press

Harald Wendelin und Verena Pawlowsky: "Arisierte Wirtschaft", Mandelbaum Verlag

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