Die Angst, zu vergessen

26. April 2018, 13:00

Die Nachricht, dass sich ein weiterer Pharma-Riese aus der Alzheimer-Forschung zurückgezogen hat, löste bei Betroffenen Verzweiflung und bei Mediziner/innen Ärger aus.

"Die Öffentlichkeit darf sich nicht auf die Pharmaindustrie verlassen", argumentiert Peter Dal-Bianco, Leiter der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen am AKH Wien. "Das sind Wirtschaftsbetriebe, die ihre Produkte verkaufen müssen. Wir brauchen eine starke öffentlich finanzierte Forschung, die nicht ausschließlich gewinnorientiert ist."

Warum ist es so schwierig, eine medizinische Therapie gegen Alzheimer und Demenz zu entwickeln? Und was bedeuten diese Aussichten für Patient/innen und deren Angehörige?

"Demenz zu heilen, wäre gleichbedeutend mit einer Heilung des Alterns an sich", kommentiert Raphael Schönborn den Stillstand der Forschung im Bereich Alzheimer. Nachdem derzeit keine Heilung in Sicht ist, fordert der psychiatrische Gesundheits- und Krankenpfleger, dass die Lebensbedingungen von Menschen mit demenziellen Beeinträchtigungen und deren betreuenden Angehörigen in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. "Das negative und stigmatisierende Bild, das viele von Demenz haben, ist eine große Belastung für die Betroffenen. Vor keiner anderen im Alter auftretenden Krankheit haben die Menschen so große Angst. Dabei entspricht dieses Horrorbild gar nicht der Lebensrealität der meisten Menschen mit Demenz."

Rund 130.000 Menschen in Österreich sind von Alzheimer betroffen. Demenz ist die häufigste Ursache für Pflegebedürftigkeit im Alter. "Wir könnten allerdings ein Drittel der Alzheimer-Erkrankungen durch Prävention verhindern", sagt Peter Dal-Bianco. Der Neurologe ist Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft und als dieser seit Jahren bemüht, über die Möglichkeiten der Alzheimer-Prävention aufzuklären. Allerdings steht ihm dabei die große Angst vieler Menschen, von Alzheimer betroffen zu sein, im Weg. Diese führt dazu, dass bei ersten Anzeichen lieber weggeschaut und verdrängt wird.

Außerdem brauche Österreich dringend eigene Daten zu Demenzerkrankungen und eine Biobank, um als Partner bei konzertierter internationaler Forschung mitwirken zu können, setzt der Neurologe fort. Alle Zahlen, mit denen derzeit in Österreich operiert wird, sind Schätzungen, basierend auf epidemiologischen Daten anderer Länder.

Elisabeth Scharang diskutiert in Punkt eins mit Peter Dal-Bianco und Raphael Schönborn
über aktuelle Erkenntnisse der Früherkennung von Alzheimer, über das tabuisierte und schambehaftete Verständnis von Demenz und wie ein selbstbestimmtes Leben für Menschen aussehen kann, die vergessen.

Die Redaktion freut sich auf Ihre Beiträge zum Thema der Sendung per Mail an punkteins(at)orf.at oder unter der Telefonnummer 0800 22 69 79 - wie immer gebührenfrei aus ganz Österreich.

Service

Österreichische Alzheimergesellschaft

Buchhinweis:
Wenzel Müller, Peter Dal-Bianco: Alzheimer. Diagnose, Verlauf, Behandlung; Experten und Betroffene berichten. Basiswissen für den Alltag.
Hrsg. Verein für Konsumenteninformation, 2., überarbeitete Neuauflage, Wien 2017

Gesprächsgruppe für Männer: "Meine Frau hat Demenz"
Leitung: Raphael Schönborn
Servicestelle für Angehörige und Demenz
Strozzigasse 5
1080 Wien
Tel. 0680-5016309

PROMENZ - Unterstützte Selbsthilfegruppe für Menschen mit Demenz.

Interessensgemeinschaft pflegender Angehöriger

Sendereihe

• Punkt eins