Das Ö1 Konzert

Einfach hören

Netherlands Radio Philharmonic Orchestra, Dirigent: Osmo Vänskä; Severin von Eckardstein, Klavier. Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58 Carl Nielsen: Symphonie Nr. 6 "Sinfonia semplice" Sebastian Fagerlund: Water Atlas (Uraufführung, Teilwiedergabe) (aufgenommen am 21. April im Concertgebouw, Amsterdam). Präsentation: Peter Kislinger

Sinfonia semplice

Was ist an der 6. Sinfonie von Carl Nielsen "semplice"? Das Weltbild, sagt John Fellow, der dänische Nielsen-Kenner, und das Programm: Nielsen versuche Einfaches zu schaffen - und komponiere zugleich den Zweifel an diesem Unterfangen. Die einzelnen Teile sind einfach, kompliziert ist der Zusammenhang. Man sollte die Sechste einfach "einfach" hören bzw. einfach "hören". Im ersten Satz gerät ein Kind im Garten beim Vorsichhinsingen von einer Tonart in die andere, das sei doch ganz einfach. Kompliziert werde Nielsens letzte Sinfonie nur mit der Tradition der Romantik im Ohr.


Humoreske: Kritik an Schönberg?

Im 2. Satz, der mit "Humoreske" überschrieben ist, spielen 2 Klarinetten, Piccolo, 2 Fagotte, Glockenspiel, kleine Trommel und Triangel. Die drei kleinen Perkussiven rotten sich zusammen, um die größeren aus ihrem trägen Schlaf zu wecken. Die drei Perkussiven sind rührend naiv. Sie beginnen mit ihrem Bimm Bimm und Bumm Bumm, werden mehr und mehr aufgeregt. Endlich wachen die anderen auf. Aber die kleinen Instrumente können mit dieser "modernen" Musik nichts anfangen. Aufhören, sagen sie, aufhören! Also weg mit der modernen Musik. Die Klarinette spielt eine kindliche Musik, die kleinen Instrumente halten den Mund und hören zu. Die Posaune aber, dieses große Instrument, beginnt zu gähnen und sagt: bäh, das ist Babynahrung. Da schließen sich die anderen Instrumente wieder an, es kommt zu einer Rauferei, die Musik klingt falsch und konfus, und dann versinkt alles wieder ins Nichts. "Das ist die Humoreske in meiner Sinfonie", hat Nielsen zwei Tage vor der Uraufführung 1925 in einem Interview erzählt. Manche meinen, der Sinfoniesatz sei eine spöttisch-kritische Auseinandersetzung mit sich als "modern" verstehender Musik seiner Zeit gewesen, besonders mit Arnold Schönberg, "aber Nielsen selbst ist ja modern", gibt Fellow zu bedenken, reagiert also auf seine Zeit. Nielsen war Schönberg in Südfrankreich begegnet. Beide, so wird berichtet, haben gern Klamauk gemacht. Von Schönbergs "atonaler", dann "zwölftöniger" Musik war Nielsen aber nicht sehr angetan.


Ernst gemeinter Gegenvorschlag

Der mit "Proposta seria" überschriebene 3. Satz ist ein fünfminütiges ergreifendes Adagio. Dieser " ernste" bzw. "ernsthafte Vorschlag" könnte Schönberg gelten. Musik unserer Zeit, Musik der 20er Jahre, könnte doch auch anders sein. Ein Vorschlag eben, und zwar "seria". Nielsen zweifelte, ob in einer Zeit, in welcher alle Bereiche dem Kommerz sich beugen, "höhere" Musik noch möglich war und "erkannte bereits, was uns heute beschäftigt: Kunst ist zur Dekoration verkommen; Musik hat die Verbindung zur Tradition gekappt, sich in Richtungen und Theorien aufgesplittert, die nur die Abhängigkeit von finanzieller Unterstützung, Medienpräsenz und Marketing verbindet." Nur für "höhere Musik für alle" würde sich keine Nische finden, fasst Fellow Nielsens Denken zusammen. Mitte der 1920er waren die Konflikte deutlicher als zur Zeit der Sinfonien 4 und 5 und nicht mehr zu ignorieren. Nielsens 6. Sinfonie ist ein Versuch, wieder einfach zu sein, ohne sich an einem schönheitstrunkenen Antimodernismus zu berauschen. Nielsens letzte Sinfonie ist modern, weil sie das Einfache versucht und mit musikalisch komplexen Mitteln eine Chronik des Scheiterns ist. Nach der letzten der neun kunstvollen Variationen des Finalsatzes versucht die Coda der drohenden persönlichen und allgemeinen Auslöschung mit heroischem Glanz und einem trotzig-spöttischen Fagottschlenker zu kontern. Nielsen reihe sich unter die großen europäischen Humanisten, "die zugleich aufbauen und niederreißen", was ihn zum dänischen Nationalkomponisten untauglich macht und quer zu unserer Zeit stehen lässt, die" uns unentwegt auffordert, positiv zu denken."

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Ludwig van Beethoven/1770 - 1827
Titel: Konzert für Klavier und Orchester Nr.4 in G-Dur op.58
* Allegro moderato - 1.Satz
* Andante con moto - 2.Satz; Rondo, vivace - 3.Satz
Klavierkonzert
Solist/Solistin: Severin von Eckardstein, Klavier
Orchester: Netherlands Radio Philharmonic Orchestra
Leitung: Osmo Vänskä
Länge: 35:00 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Carl Nielsen
Titel: Symphonie Nr.6 FS 116 "Sinfonia semplice"
* 3. Tempo giusto - 1.Satz
* 4. Humoreske - 2.Satz
* 5. Proposta seria - 3.Satz
* 6. Tema con variazioni - 4.Satz
Orchester: Netherlands Radio Philharmonic Orchestra
Leitung: Osmo Vänskä
Länge: 32:30 min
Label: EBU

Komponist/Komponistin: Sebastian Fagerlund/geb.1972
Titel: Water Atlas (2017, UA) - (18:30)
Orchester: Netherlands Radio Philharmonic Orchestra
Leitung: Osmo Vänskä
Länge: 07:00 min
Label: EBU

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