Das Ö1 Konzert

Messerscharf Himmel stürmende Symphonie

Wiener Philharmoniker, Dirigent: Sakari Oramo; Sol Gabetta, Violoncello. Jean Sibelius: Pohjolan tytär "Pohjolas Tochter", Symphonische Fantasie op. 49 Rued Langgaard: Symphonie Nr. 6, "Det Himmelrivende" Edward Elgar: Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85 (aufgenommen am 15. April im Großen Konzerthaussaal Wien in Dolby Digital 5.1 Surround Sound). Präsentation: Peter Kislinger

Exzentriker im Schatten von Carl Nielsen?

Als 1952 Rued Langgaard, 31 Jahre nach Carl Nielsen, im 60. Lebensjahr verstarb, hinterließ der introvertierte Exzentriker 400 Kompositionen, darunter 16 Symphonien und 7 Streichquartette: Werke mit oft ekstatischem Gestus. Nielsen wollte weg von der "Spät"-Romantik; Langgaards Symphonien bauen auf ihr auf. "Unser großer Carl Nielsen" heißt eine böse, sarkastische, auch verzweifelte 32-taktige Komposition von Langgaard aus dem Jahr 1948. 32 Takte, die "bis in alle Ewigkeit" zu den Worten "Carl Nielsen, unser großer Komponist!" gesungen werden sollen. Langgaard fühlte sich von Nielsen verfolgt bzw. von der Nielsen-Verehrung an den Rand des dänischen Musiklebens gedrängt. Ob man die Musik von Langgaard unbedingt kennen müsse, habe ich Sakari Oramo gefragt. Der finnische Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra und des Royal Stockholm Philharmonic leitete im Vorjahr eine Aufführung der 2. Symphonie mit dem Titel "Frühlingserwachen" im Wiener Konzerthaus und dirigierte heuer ebendort dessen 6. Symphonie "Det Himmelrivende" (Das Himmelsreißende, Das Himmelberstende). Während einer Probe stellte ich ihm dieselbe Frage wie im Vorjahr. Würde er dessen Musik nicht kennen, dann wäre sein Leben ärmer, er sei "aber nicht bereit zu sagen, dass jeder Langgaard kennen müsse. Er war ein Komponist mit vielen, sehr guten Qualitäten, aber ohne den Bahn brechenden Charakter eines Carl Nielsen."

Langgaards Symphonie Nr. 6

Die Arbeit an der 6. Symphonie beschäftigte Langgaard zehn Jahre. Die Endfassung entstand 1928-30. Die in Karlsruhe uraufgeführte Erstfassung war noch etwa 25 Minuten länger. Kürzungen und Striche fielen, meint Oramo, der die Erstfassung nicht kennt, wohl zugunsten des Werkes aus, das im Vergleich zur 2. Symphonie eine konzisere Sprache spreche und dramaturgisch überzeuge. Das einsätzige Werk baut auf zwei Themen auf. Die fünf attacca gespielten Variationen mit den Titeln Introductio, Fuga, Toccata (mit recht deutlichen Nielsen-Anklängen), Sonata und Coda durchzieht zudem das zu Beginn erklingende C-D-F-Motiv. Dass das Werk überraschend sieghaft in pastoral-triumphalem F-Dur endet, verdanke sich "eher einer Kraftanstrengung denn Gewissheit". Zusammen mit der Oper "Antikrist" (die 1999 am Tiroler Landestheater auf Initiative des in Wien lebenden und arbeitenden Dirigenten Niels Muus aufgeführt wurde) und der 2. Violinsonate bilde die 6. Symphonie den "Kern" der Produktion des dänischen Komponisten.

Ein Zustand, keine absolute Musik

Nicht nur mit dem später hinzugefügten Titel "Det Himmelrivende" (Das den Himmel Öffnende) erinnert das Werk an Nielsens 4. Symphonie ("Das Unauslöschliche"), auch im Grundgestus. 1944 schrieb Langgaard auf die bis dato unveröffentlichte Partitur: "Wenn es schon unbedingt Nielsen sein muss, gut, dann können wir es aber auf meine Art machen." Langgaard fühlte vom Dur-Moll-System seinen Ausdruckswillen eingengt. Seinem Wunsch nach "Entgrenzung" und seiner "unerfüllbaren Sehnsucht" werde das tonale System nicht gerecht. Die Symphonie bewege sich, so eine Notiz aus dem Jahr 1949, auf dem "messerscharfen Rand der dissonierenden, schimmernden, goldenen Himmel". Ein Abbild des kosmischen Kampfes zwischen Engeln und Dämonen, zwischen Gut und Böse sei es, "ein Zustand, keine absolute Musik."

Service

Diese Sendung wird in Dolby Digital 5.1 Surround Sound übertragen. Die volle Surround-Qualität erleben Sie, wenn Sie Ö1 unter "OE1DD" über einen digitalen Satelliten-Receiver und eine mehrkanalfähige Audioanlage hören.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Jean Sibelius/1865 - 1957
Titel: Pohjolas Tochter op.49 - symphonische Fantasie
Orchester: Wiener Philharmoniker
Leitung: Sakari Oramo
Länge: 12:07 min
Label: Lienau / LM

Komponist/Komponistin: Rued Langgaard/1893 - 1952
Titel: Symphonie Nr.6 "Det Himmelrivende / Das Himmelreißende"
* Thema: Versione I (3:38)
* Thema: Versione II (2:03)
* Variation Nr.1: Introduzione (1:25)
* Variation Nr.2: Fuga (2:05)
* Variation Nr.3: Toccata (2:13)
* Variation Nr.4: Sonata (6:15)
* Variation Nr.5: Coda (3:43)
Orchester: Wiener Philharmoniker
Leitung: Sakari Oramo
Länge: 20:09 min
Label: Hansen/Sikorski / LM

Komponist/Komponistin: Edward Elgar/1857 - 1934
Titel: Konzert für Violoncello und Orchester in e-moll op.85
* Adagio - Moderato - 1. Satz (8:12)
* Lento - Allegro molto - 2. Satz (4:46)
* Adagio - 3. Satz (5:00)
* Allegro - 4. Satz (11:10)
Cellokonzert, Violoncellokonzert
Solist/Solistin: Sol Gabetta, Violoncello
Orchester: Wiener Philharmoniker
Leitung: Sakari Oramo
Länge: 29:07 min
Label: Bärenreiter / EM Orchester

Komponist/Komponistin: Peteris Vasks/geb.1946
Titel: Gramata cellam (Das Cellobuch) - für Violoncello solo
* Dolcissimo ("Melodie wird mit der Gesangsstimme nachgezeichnet") - 2.Satz (00:07:15)
Anderssprachiger Titel: Buch für Cello
Solist/Solistin: Sol Gabetta /Violoncello, Gesang
Länge: 04:30 min

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