Münzenstapel

APA/KEYSTONE/MARTIN RUETSCHI

Radiokolleg - Silvio Gesell und die Freiwirtschaftslehre

Von Schwundgeld und kleinen Wundern (2). Gestaltung: Juliane Nagiller

In den Jahren 1932 / 1933 ereignete sich in der kleinen, Tiroler Gemeinde Wörgl ein regelrechtes Wunder. Während im ganzen Land die Arbeitslosigkeit stieg, ging die Zahl der Arbeitslosen in Wörgl um 25 Prozent zurück. Das Wiener "12-Uhr-Blatt" schrieb: Wörgl hat plötzlich Weltbedeutung erlangt. Hinter diesem Weltruhm stand ein Experiment des damaligen Wörgler Bürgermeisters Michael Unterguggenberger.

Er führte eine eigene Währung im Tausch für Arbeitskraft ein, die nur im Umkreis von Wörgl gültig war - das Schwundgeld. Damit es gültig blieb, musste man jeden Monat eine Wertmarke auf den Schein kleben. Wer beispielsweise einen 10-Schilling-Schein über das Monatsende hinaus behalten wollte, musste für zehn Groschen eine Marke kaufen und sie auf den Schein kleben.

Über die Idee zum Schwundgeld stolperte Michael Unterguggenberger regelrecht. Als er im Jahr 1916 als Lokomotivführer in der Nähe der Front seinen Dienst tat, fand er im Zug eine Ausgabe der Zeitschrift "Der Physiokrat". Diese monatliche Zeitschrift wurde zwischen 1912 und 1916 von Silvio Gesell und seinem Mitstreiter Georg Blumenthal herausgegeben.

Der 1862 geborene Silvio Gesell gilt als Begründer der Freiwirtschaftslehre, die er in seinem Hauptwerk Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld veröffentlichte. Um Stagnationserscheinungen und eine wirtschaftliche Rezession zu vermeiden, sei es die primäre Aufgabe des Staates für einen stabilen Umlauf im Geldwesen zu sorgen, argumentierte Silvio Gesell.

Freigeld, also Geld das einem Wertverfall unterworfen ist, steht unter Umlaufzwang. Da es schnell ausgegeben wird, regt es Investitions- und Konsumausgaben an und verhindert Deflation und Arbeitslosigkeit. Der ökonomische Autodidakt Gesell lehnte den Zins ab und beklagte, dass das Geld tauschdynamisch den Waren und der Arbeitskraft überlegen sei. Denn diese lassen sich nicht unbegrenzt bewahren, verderben oder verlieren an Wert.
Wird hingegen Geld aufbewahrt gewinnt es durch den Zins sogar an Wert. Würde das Geld jedoch "rosten", dann würden sich Geldbesitzer nicht mehr weigern das Geld zirkulieren zu lassen, so Gesells Idee.

Seit der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise werden die Ideen von Silvio Gesell wieder stärker diskutiert. Das Problem, dass Menschen und Banken Geld horten anstatt es zu investieren, erscheint wieder aktuell. Auf regionaler Ebene wird aktuell nach Alternativen zum bestehenden Geldsystem gesucht. So gibt es in Österreich die Regionalwährung Waldviertler und in Bayern den Chiemgauer.

Das Schwundgeld-Projekt in Wörgl wurde übrigens nach einem Jahr von der Bundesregierung verboten, da es gegen das Notenbank-Privileg verstieß. Eine Problematik mit der auch aktuelle Kryptowährungen bald konfrontiert werden könnten.

Service

Virtuelle Ausstellung - Freiwirtschaftliche Markierungen

Unterguggenberger Institut Wörgl

Broer, Wolfgang (2007): Schwundgeld. Bürgermeister Michael Unterguggenberger und das Wörgler Währungsexperiment 1932/33, Innsbruck / Wien / Bozen: StudienVerlag.

Gesell, Silvio (1931): Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, 7. Auflage, Hochheim: Stirn-Verlag

Lorber, Curt Philipp (2009): Die Freigeld- und Freilandtheorie von Silvio Gesell (1862-1930). Eine rezeptionsgeschichtliche Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung von john Maynard Keynes, Frankfurt am Main et. al.: Peter Lang.

Senft, Gerhard (1991): Chronik einer Legende - Die Freiwirtschaftsbewegung in Österreich, Zeitschrift für Sozialökonomie, 28. Jahrgang, 91. Folge.

Sendereihe

Gestaltung