Zwischenruf

von Pfarrer Michael Chalupka (Wien)

Es geschah am 25. Juni 2018 in Dresden. Siegfried Däbritz, einer der Gründungsmitglieder von Pegida, hatte sich auf der jeden Montag stattfindenden Kundgebung warm geredet, als er nach 20 Minuten auf die Seenotretter zu sprechen kam. "Ihr habt ja bestimmt gehört, was im Mittelmeer mit unserer herzallerliebsten Dresdner Schlepper-Organisation gerade passiert, oder?" Damit meint Däbritz die Hilfsorganisation "Mission Lifeline", die wie Pegida aus Dresden kommt. Diese ist zu dem Zeitpunkt noch mit ihrem Schiff, der "Lifeline", auf dem Mittelmeer unterwegs, mit 234 Flüchtlingen und wartet seit Tagen darauf, in einen europäischen Hafen einzulaufen. Da rufen immer mehr Teilnehmer: "Absaufen! Absaufen!"
Es geschah in Wien, Anfang dieser Woche. Der Ring musste gesperrt werden. Auf den gläsernen Container der Parlamentsbaustelle war ein verzweifelter Mann geklettert und wollte offenbar ein Zeichen setzen.

Die Polizei führte Gespräche, ein Dolmetscher unterstützte. Die Aktion hatte Erfolg. Der junge Mann aus Syrien, der in Österreich Asyl erhalten hatte, und nach Hause wollte, aus welchen Gründen auch immer, brach seine Aktion ab. Die Kronen Zeitung berichtete: "Laut Polizeisprecher Daniel Fürst hatte der Mann gerufen, dass er nach Hause will, als die Beamten eintrafen. Eine Twitter-Userin, die sich vor Ort befand, schrieb, Passanten hätten dem Mann "Spring doch" zugerufen, weshalb die Polizei den Einsatzbereich vergrößern musste."

Es geschah am Karfreitag in Jerusalem. Pilatus, so erzählt es der Evangelist Lukas, hatte die Menschenmenge gefragt, wie er denn mit dem Delinquenten Jesus umgehen solle. "Was hat denn dieser Böses getan? Ich habe keine Schuld an ihm gefunden, die den Tod verdient." Dreimal soll Pontius Pilatus gefragt haben. Dreimal war die Antwort der Menge: "Kreuzige ihn! Kreuzige ihn!"

"Absaufen!" "Spring doch!" "Kreuzige ihn!" Was bringt Menschen dazu, lauthals den Tod anderer Menschen zu fordern? Menschen, die selbst im Schutz der Menge agieren. Menschen, die eigentlich unbeteiligt sind. Passanten, Kundgebungsteilnehmer, Gerichtskiebitze?

Im Evangelium wird die Menge als ambivalent geschildert. Zuerst, am Palmsonntag, hatten sie noch gejubelt und Hosianna gerufen, als ihr König in Jerusalem eingezogen ist. Da hatten sie seinen Weg noch mit Palmen und mit ihren Kleidern ausgelegt. Die Stimmung aber drehte sich, als er ihre Erwartungen enttäuschte und Jesus selbst zum Opfer wurde. Die Stärke, die sie sich von ihm erhofft hatten, sie wurde zum Ausdruck der Schwäche. Das Opfer und die Schwachheit können zum einen Mitleid erwecken, zum anderen aber auch eine Bedrohung darstellen. Es ist bedrohlich zu erkennen, dass auch die vermeintliche eigene Stärke nicht von Dauer sein könnte, dass man selbst zum Opfer werden könnte. Es gibt zwei Möglichkeiten, mit den Opfern umzugehen: zu helfen und sich der Provokation der Schwäche auszusetzen - oder sich zu immunisieren, um sich selbst nicht in Frage stellen zu müssen. Dann sollen sie doch lieber absaufen, bevor sie uns mit der Ungerechtigkeit der Welt und unserer Verantwortung konfrontieren.

Andererseits sind die, die "absaufen" oder "spring doch" oder "kreuzige ihn" skandieren, nie die, die in der Verantwortung stehen. Sie tragen nicht die Verantwortung dafür, ob Rettungsboote im Hafen festgehalten werden oder auslaufen dürfen. Sie tragen nicht die Verantwortung dafür, wenn Rettungseinsätze boykottiert werden und Seenotretter diffamiert werden. Es sind andere, die die Entscheidungen treffen, die den Tod in Kauf nehmen und ihn auch zu verantworten haben.

Schließlich war es auch die Verantwortung des Pontius Pilatus, dass Jesus gekreuzigt wurde. Er allein konnte ein Todesurteil vollstrecken lassen - nicht die, die "kreuzige ihn" riefen. Dass des Volkes Stimme ihn dazu ermutigt hatte, hilft ihm nichts. Er trägt die Verantwortung. Deshalb steht auch im Glaubensbekenntnis zu Recht: "gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben." Seine Verantwortung wird festgehalten, solange Christinnen und Christen ihren Glauben bekennen. Seine Hände in Unschuld zu waschen und sich auf die Stimmung der Bevölkerung zu berufen, hilft da nicht.

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