Reinhard Scolik über Leonard Bernstein

23. August 2018, 06:56

"Ich empfinde, liebe, brauche und schätze den Menschen mehr als alles andere, mehr als Kunst, als Naturschönheiten, als organisierte Frömmigkeit oder nationalistische Bündnisgebilde. Eine menschliche Gestalt auf einem Bergeshang kann den Berg für mich verschwinden machen."

Wer so lieben kann, nein, so lieben muss, gerät in Konflikte. Bernstein war nie maßvoll, verantwortungsbewusst war er aber schon. So sind die Widerstreite in seinem Leben angelegt. Alles wollen ist schwer, das Gelingen unmöglich.

Seine exzessive Hingabe beim Dirigieren, diese Entäußerung, zu der wir oft nur in Ausnahmefällen fähig sind, zählen bei ihm zum Alltag. Sie wirkt Wunder, wenn er Musiker mitnimmt auf seine Reise in das Innerste der Musik. Die Kuss-Lust an Musikern und Bewunderern nach Konzerten ist legendär. Schön ist in diesem Zusammenhang ein Telegramm, das Bernstein kurz vor einer Audienz bei Papst Paul VI. erhielt: "Lenny, denk dran: den Ring, nicht die Lippen!"

Entäußerung als Dauerzustand, der Wunsch alles erreichen zu wollen, und das Scheitern daran, machen die Tragik seines Lebens aus. Privat wird Bernsteins Homosexualität zum familiären Verhängnis. Vor seiner Ehe prüft er nochmals die Festigkeit seiner heterosexuellen Orientierung, hält aber auf Dauer nicht durch. Als ihm seine Frau Felicia ein Ultimatum stellt, entscheidet er sich gegen sie und bekennt 1976 vor einem Konzert öffentlich, "dass ein Künstler, wenn der Tod sich nähert, alles eliminieren muss, was ihn daran hindert, kreativ zu sein. Ich habe das für mich selbst auch so beschlossen, damit ich den Rest meines Lebens so leben kann, wie ich es möchte." Nachdem bei Felicia Krebs diagnostiziert wurde, kehrte er zu ihr bis zu ihrem frühen Tod 1978 zurück. Alles wollen heißt auch alles verantworten müssen.

Service

Leonard Bernstein, "Worte wie Musik", Verlag Herder
Jonathan Cott, "Leonard Bernstein. Kein Tag ohne Musik", Verlag btb
Peter Gradenwitz, "Leonard Bernstein. Eine Biografie", Atlantis Musikbuch

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Gestaltung

• Alexandra Mantler

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