Zwischenruf

Gisela Ebmer über Rechtsextremismus

"Rechts und links". Anlässlich rechtsextremer Demonstrationen in Deutschland macht sich Gisela Ebmer, evangelisch-reformierte Theologin und Religionslehrerin, Gedanken über Fundamentalismus. - Moderation: Martin Gross

In Deutschland mehren sich die Zusammenrottungen von rechtsextremen Gruppen gegen die Migration. Und sowohl in Chemnitz als auch in Köthen gibt es Gegendemonstrationen. Wer ist eigentlich gegen die Propaganda rechtsextremer Gruppen?

Ich erinnere mich an einen Text von Erich Fried, in dem es um Rechte und Linke geht. Fried schreibt, wer immer jemand anderem sagt, was er zu denken oder nicht zu denken hat, ist ein Rechter.

Wer aber sagt,
"was er selbst denkt
und ... auch sagt
dass daran etwas falsch sein könnte
der ist vielleicht
ein Linker."

Extremistische Gruppierungen sind fundamentalistisch in ihrem Denken. Es ist schon klar: Jeder Mensch braucht ein Fundament in seinem Leben. Einen sicheren Grundstein, auf dem man aufbauen kann. Der nicht verrückbar ist. Mein Fundament gibt mir Sicherheit, gibt mir Kraft. Je fester mein Fundament ist, desto besser kann ich meine Blicke, meine Schritte und meine Arme öffnen in Richtungen, die mir fremd sind. Denn mein Fundament gibt mir Halt, es trägt mich. Ich kann jederzeit dorthin zurückkehren. Und ich kann sehen, dass andere Menschen andere Fundamente haben. Ich kann im Gespräch und in der Begegnung mit anderen vielleicht auch entdecken, dass ich auf meinem Fundament auch mein Haus umbauen kann, es größer und weiter machen kann oder höher. Je fester und größer mein Fundament ist, desto besser kann ich mich weiter entwickeln.

Fundamentalismus ist eine Art des Sehens: Schwarz und weiß, das sind Gegensätze, und auf die kommt es an. Freund oder Feind, Einheimischer oder Migrant, Mann oder Frau, Arbeitstier oder Arbeitsloser, Armer oder Reicher, Rechter oder Linker. Man sieht keine Nuancierungen mehr, keine Grauzonen, keine Vermittlung. Wir sind die Guten, die anderen sind die Bösen. Die Welt wird gut, wenn die Bösen ausgerottet sind. Interessant ist, dass Rechtsextreme in Europa und Islamisten mit denselben Mitteln arbeiten. Beide bedienen die sozialen Medien, beide greifen die jeweils anderen an mit Angstmacherei und Falschinformationen. Beide wollen eine Spaltung der Gesellschaft herbeiführen, die letztlich irgendwann ihnen zugutekommt. So sagte es die Extremismusforscherin Julia Ebner im Ö1-Mittagsjournal am 1. September. Beide bekämpfen einander aufs Ärgste, und weil sie jeweils den Feind bekämpfen, stacheln sie letztlich einander an im besten Sinne.

Die Propheten des Alten Testaments werden in der biblisch-hebräischen Sprache die Nebiim genannt, die "Seher". Sie waren diejenigen, die sich nicht blenden lassen haben von dem, was die Herrschenden so von sich gaben, und auch nicht von am Königshof angestellten Propheten, die das vorhersagten, was dem König genehm war. Sie haben keine Fake News verbreitet. Sondern sie haben in verschiedener Art und Weise einen Auftrag Gottes empfangen. In einer Vision, in einem Traum. Natürlich waren sie sich dann nicht sicher, ob das nur ein Blödsinn war, was sie da geträumt haben. Zum Beispiel ein Senkblei und dazu die Stimme Gottes, die sagte: Mein Volk Israel gleicht einer Mauer, die nicht mehr im Lot ist. Ich bin entschlossen, nichts Krummes mehr durchgehen zu lassen. Und Gott droht mit der Zerstörung der Kultstätten und des Königshauses. Der Prophet Amos, der diese Vision empfangen hat, begibt sich auf Reisen. Er beginnt zu sehen. Er öffnet seine Augen. Er sieht das Unrecht, das passiert. Er sieht die armen Leute und die reichen. Und er beginnt, das Volk zu warnen vor den Folgen.

Im Text von Erich Fried sind alle Menschen Rechte, die einen eingeschränkten Blick haben und behaupten, nur ihre Sicht sei die Wahre. Wer Kindern sagt, was er selber denkt, und ich ergänze, was er wahrgenommen, recherchiert, erforscht, erfahren und gesehen hat, und der noch dazu sagt, dass seine Deutung davon vielleicht nicht die einzig richtige ist, der ist nach Erich Frieds Sicht vielleicht ein Linker, oder vielleicht einer, der bei den Gegendemos in Chemnitz und Köthen dabei war, oder eine, die sich an der Bibel und an den Propheten ein Beispiel nimmt und begonnen hat, eine Seherin zu werden.

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