Gedanken für den Tag

David Weiss zum jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur

"In die Wüste geschickt". Der Schriftsteller David Weiss macht sich Gedanken über Sündenböcke und Neuanfänge. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Wo auch immer auf der Welt sich Menschen niederließen, wollten sie die Kontrolle über ihre gesamte Umwelt. Und nicht bloß über die sichtbare Natur, sie brachten ihre Götter und Ideen an die neuen Orte.

Von den ortsansässigen Alten fühlten sie sich bedroht, darum mussten die bösen Geister aus Haus, Feld und Weide verschwinden. Schofar und Kirchenglocken erstritten und verteidigten die Lufthoheit. Hornblasen und Läuten trieb die alten Götter und Dämonen in die Wildnis. Weit in die Wüste, tief in den Wald und hinaus übers Meer. Die Wildnis wurde zum Reservat. Und im Herz des Waldes steht heute ein Casino. Vor dem Hotel wehen die Fahnen der USA, des Bundesstaates Connecticut und der Mashantucket Pequot-Nation. Weißer Fuchs im schwarzen Wald auf Grün.

Pequot, das waren Ureinwohner in Connecticut. Die Briten verboten auf "ewige Zeiten", ihren Namen auszusprechen. Meine Frau und ich wollten wissen, wer die Pequot gewesen waren. Irgendwer erinnert sich immer und erzählt. Und das wird meistens unangenehm. Eines Tages kamen Fremde völlig zerlumpt und in überfüllten Booten an der Küste an. Es waren wenige Familien und ganz viele Männer auf der Flucht vor Religionskriegen und tristen Wirtschaftsverhältnissen. Die frommen aber leider etwas blöden Leute krepierten an Unterernährung und Klima.

Die Pequot gaben den Fremden zu essen, lehrten sie die Grundlagen des Überlebens und feierten Schemitzun mit ihnen, das Erntedankfest. Die Pequot waren stark und zahlreich, die paar Fremden würden sie schon aushalten. Die Siedler, wie sie sich selbst nannten, bauten derweil Zäune, Dörfer und Festungen. Sie brachten Dokumente in fremden Sprachen, die sie zu Pionieren erklärten. Die Pequot machten sie zu Fremden und Wilden. 600 starben in nur einer Nacht. Nur einige wenige lebten seit 1666 in einem Reservat. Erst in den 1980ern bekamen sie medizinische Versorgung und ein eigenes Postamt.

Die Foxwoods-Kasinos sind der bedeutendste Wirtschaftsfaktor für das BIP in Connecticut. Abertausende reisen mit dem Auto und in Bussen an. Die Mehrheit sind Alte und Menschen mit Behinderung, die ihre Renten aufbessern wollen. Unter den riesigen Kristalllüstern riecht es nach Zigaretten, Whiskey, Black Jack und Prostitution. Nach Subkultur. Alles da, was aus der zivilisierten US-Öffentlichkeit verbannt wurde. Betrieben von den Natives, deren Vorfahren vor Jahrhunderten in die Wüste geschickt worden waren und deren Geschichte viele am liebsten vergessen würden.

Die Indianer sind die mit den Kasinos. Sie sind das Verdrängte der USA. Sie verdienen die Zukunft ihrer Kinder in dieser Rolle: Bildung, Grundeinkommen, Sozial- und Krankenversicherung für alle Stammesmitglieder. Die Wiedergeburt eines Volkes. Laster, das soziale Gerechtigkeit schafft. Vielleicht ist das auch ein Pfad zur Versöhnung.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Traditional
Bearbeiter/Bearbeiterin: Rita Coolidge
Bearbeiter/Bearbeiterin: Robbie Robertson
Album: MUSIC FOR THE NATIVE AMERICANS
Titel: Cherokee morning song (00:02:58)
Ausführende: The Red Road Ensemble /Gesang m.Begl.
Ausführender/Ausführende: Robbie Robertson /Keyboards
Länge: 02:58 min
Label: Capitol 8282952

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