Zwischenruf

Michael Bünker über Kommunikation in der Gesellschaft

von Michael Bünker, evangelisch-lutherischer Bischof in Österreich. - Gestaltung: Martin Gross

My country talks, mein Land spricht. Dieses Projekt haben Zeitungen und andere Medien international auf den Weg gebracht. Es werden Menschen miteinander ins Gespräch gebracht, die zwar vielleicht in räumlicher Nachbarschaft leben, aber in vielen Fragen völlig unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Ansichten sind.

Die Echoblasen, in denen die Kommunikation heute vorwiegend abläuft, sollen zumindest punktuell aufgebrochen werden. Denn die Polarisierung der Gesellschaft nimmt beständig zu und das Gespräch über kontroverse Themen verstummt. Die sozialen Medien verbinden die Menschen nicht, sie dividieren sie im Gegenteil noch mehr auseinander. Statt Verständnis und gegenseitigem Zuhören dominieren Ablehnung, Ausblendung und der Rückzug in die Meinungsblasen, in denen sich nur noch Gleichgesinnte befinden. Da geht schnell ein Riss durch Nachbarschaften und Dorfgemeinschaften, durch Vereine und Pfarren, durch Freundschaften und Familien. Dagegen soll etwas getan werden!

Die Premiere war in Deutschland, mehr als 20.000 hatten sich angemeldet. Den Abschluss bildete eine öffentliche Veranstaltung in Berlin, zu der Bundespräsident Steinmeier 50 der Gesprächspaare eingeladen hatte. Den größten Gegensatz der Meinungen gab es übrigens bei der Frage, ob die Innenstädte in Deutschland autofrei werden sollen oder nicht.

Am 13. Oktober heißt es: Österreich spricht. Schon bei der Anmeldung wird man aufgefordert, mit Ja oder Nein auf kontrovers diskutierte Fragen zu antworten. Etwa: Leistet Österreichs Regierung gute Arbeit für die Zukunft des Landes? Ist der Islam mit den europäischen Werten vereinbar? Sollte Europa seine Außengrenzen schließen? Ist Donald Trumps Politik gut für die Welt? Ist Fleisch aus Massentierhaltung ethisch und ökologisch vertretbar? Verlangt unsere Gesellschaft derzeit, dass Mütter ihre Karriere für die Kindererziehung hintanstellen? Sollte Rauchen in Lokalen verboten sein? Aufgrund der Antworten werden Menschen, die möglichst gegensätzliche Meinungen vertreten, einander als Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zugeordnet. Rund 10.000 Menschen haben sich angemeldet, die Gesprächspaare werden sich in 14 Tagen - eben am 13. Oktober - an unterschiedlichen Orten treffen und austauschen. Zuhören und gehört werden - das ist ein erster, ein wichtiger Schritt, um Gräben und Mauern abzubauen. Auf die Ergebnisse und Rückmeldungen bin ich schon gespannt.

Es folgen in Europa die Schweiz, Italien, Norwegen und Tschechien. Die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Frühjahr 2019 bieten einen zusätzlichen Anlass dafür, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Ich finde, das ist ein großartiges Projekt. Martin Luthers Kollege und Freund Philipp Melanchthon hatte als Lebensmotto: Wir sind zum Gespräch miteinander geboren. Das hat für ihn seine Wurzeln im christlichen Glauben. Denn Gott spricht den Menschen an und der Mensch ist zur Antwort, zur Verantwortung, aber auch zum Dialog berufen. Die ganze Bibel ist voll von solchen Gesprächen zwischen Gott und Mensch und zwischen Mensch und Mitmensch. Selbstverständlich gilt das auch für kontroverse Fragen. Wenn es sein muss, kann es ein richtiges Streitgespräch sein. Aber miteinander zu sprechen, dem anderen zuzuhören und selbst gehört zu werden - das halte ich für einen wichtigen Beitrag zum Zusammenleben in der Gesellschaft.

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