Zwischenruf

Maria Katharina Moser über selbstbestimmtes Sterben

"Die letzte Herausforderung des Lebens". Maria Katharina Moser, Direktorin der Diakonie, über den größeren Freiheitsraum, den Sterbende dank einer rechtlichen Neuregelung haben. - Gestaltung: Martin Gross

"Wir sind allsamt zu dem Tod gefordert und wird keiner für den andern sterben. Sondern ein jeglicher muss in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen ... ein jeglicher muss für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes", verkündet Martin Luther in seiner berühmten Invokavit Predigt von der Kanzel.

Als er selbst in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 1546 im Sterben liegt, bricht Luther mit den Konventionen seiner Zeit: Er legt keine Beichte ab, verzichtet auf die letzte Ölung und auf die letzte Kommunion. Auch das Sterben ist mit der Reformation eine Sache der Freiheit und Verantwortung geworden. "... ein jeglicher muss für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes ..."

Als Pfarrerin höre ich viel darüber, wie Menschen dieser letzten großen Herausforderung des Lebens begegnen. Marianne zum Bespiel. Sie hatte einen schweren Unfall. Sechs Monate später starb ihr Mann, das hat ihr einen zusätzlichen Dämpfer versetzt. Und dann die Diagnose: Krebs. Chemotherapie. Pendeln zwischen zu Hause und dem Krankenhaus. Schließlich ist klar: Der Krebs lässt sich nicht besiegen. Die Chemotherapie musste abgebrochen werden. Marianne hat sie nicht mehr vertragen. Es wurde auf palliative Versorgung, auf Linderung von Beschwerden und Schmerzen umgestellt.

Die letzten Wochen des Lebens von Marianne waren schwer. Aber sie war tapfer, hat nie gejammert. Der Lebenswille allerdings, der hat sie verlassen. Sie wollte nicht mehr essen, ist immer dünner geworden, hat hauptsächlich geschlafen. Für die Familie war das schwer zu akzeptieren. Die Angehörigen hätten sich gewünscht, dass Marianne noch kämpft um ihr Leben. Sie aber hat sich entschieden, ihr Leben langsam loszulassen. Nicht mehr essen, nicht mehr trinken, sich hinüberschlafen in Gottes Ewigkeit. Das war ihre Art, sich der letzten großen Herausforderung im Leben, dem Sterben, zu stellen.

"... ein jeglicher muss für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes ..." Und trotzdem kann uns unser Umfeld das Sterben in Freiheit und Verantwortung schwerer oder leichter machen.

Heute nehmen nicht mehr religiöse Regeln Einfluss auf unser Sterben, wie zur Zeit Martin Luthers. Heute sind es die hoch entwickelten Möglichkeiten der Medizin, die unser Sterben bestimmen. Viele Menschen haben Angst vor einem langen Sterbeprozess: im Krankenhaus, an Apparaten hängend, mit Schmerzen. Sie wollen, so wie Marianne, aufhören dürfen zu kämpfen.

So großartig die Möglichkeiten der Medizin sind - wenn keine Heilung mehr möglich ist und das Sterben nur mehr verzögert werden kann, können medizinische Maßnahmen Übertherapierung bedeuten und schaden. Allein, für Ärzte und Ärztinnen ist es nicht einfach, sich darauf zu beschränken, Beschwerden und Schmerzen zu lindern. Denn sie riskieren mitunter eine Klage.

Eine Änderung im Ärztegesetz soll mehr Rechtssicherheit schaffen. Ärztinnen haben Sterbenden "unter Wahrung ihrer Würde beizustehen", heißt es in dem Gesetzesentwurf. Es soll zulässig sein, im Rahmen palliativmedizinischer Indikationen Schmerzmittel zu geben auch auf die Gefahr hin, dass dies das Eintreten des Todes beschleunigt.

Diese rechtliche Neuregelung ist ein wichtiger Schritt. Sie sorgt dafür, dass Ärzte wie Sterbende einen größeren Freiheitsraum haben, in dem sie sich der letzten Herausforderung des Lebens verantwortlich stellen können.

"... ein jeglicher muss für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes ..."

Sendereihe

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