Gedanken für den Tag

Wolfgang Müller-Funk über Gerechtigkeit

"Die vielen Gesichter der Gerechtigkeit". In der Woche des Ö1 Schwerpunkts "100 Jahre Erste Republik" macht sich der Literatur- und Kulturwissenschafter Wolfgang Müller-Funk "Gedanken für den Tag" über die vielen Gesichter der Gerechtigkeit. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Es gab eine Zeit, in der sich Marxisten und Christen regelmäßig zum Gedankenaustausch trafen. Bei diesen Begegnungen spielte die Frage der Gerechtigkeit eine maßgebliche Rolle. Gerechtigkeit ist bis zu einem gewissen Grad immer sozial. Sie hat ihren Ort in der Gemeinschaft, in der Frage etwa der Verteilung von materiellen aber auch immateriellen Gütern wie Bildung oder Zugang zu kulturellen Techniken.

Zweifelsohne hat das Christentum ein sehr stark ausgeprägtes Denken und Fühlen in Richtung der Gerechtigkeit entwickelt. Es ist modern, weil es, kosmopolitisch wie sein ungläubiger Erbe, der Sozialismus, von der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen ausgeht. Daher rührt - das gilt wohl auch für den ihm verwandten Islam - die Zuwendung und Fürsorge für die Menschen in Armut und die Skepsis gegenüber dem Gerechtigkeitssinn und der ethischen Rechtschaffenheit der Reichen. Das Kamel und das Nadelöhr.

Zuweilen klingt in den Reden Jesu Skepsis an, dass die irdische Welt für Gerechtigkeit in einem strengen Sinn des Wortes nicht geschaffen zu sein scheint. Gerade dieser Umstand hat einen Heinrich Heine und einen Karl Marx in ihrer Religionskritik beflügelt. Den Himmel auf Erden herzustellen, war ihr Gegenvorschlag historischer Gerechtigkeit. Davon, dass alle alles haben sollen, ist bei Walter Benjamin die Rede.

Die Debatte zwischen Marx und Jesus ist verklungen. Die gerechte Welt, die der Marxismus herzustellen trachtete, erwies sich als so fern wie das himmlische Paradies. Umgekehrt wollen sich, wie die weltweiten Migrationen zeigen, die wirklich Armen dieser Welt, etwa in Afrika oder auch in Südamerika, nicht länger vertrösten lassen.

Die Forderung nach Gerechtigkeit hat verschiedene Seiten und viele Stimmen. Wir werden, frei nach Musil in Sachen Gerechtigkeit weiter und fort wursteln müssen. Ihre Postulate sind gebieterisch, manche von ihnen, nationalistische, womöglich aber auch alle Enteignungsfantasien, sind unannehmbar, weil sie unweigerlich zu neuer Ungerechtigkeit führen.

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Arthur Foote/1853 - 1937
Komponist/Komponistin: Arthur FOOTE /Mass. - 8.4.1937 Boston/5.3.1853 Salem
Album: FOOTE, COPLAND: KAMMERMUSIK MIT FLÖTE
* Sarabande (00:03:25)
Titel: Sarabande und Rigaudon op.60 - für Flöte, Viola und Klavier
Solist/Solistin: Fenwick Smith /Flöte
Ausführende: Boston Chamber Music Society
Ausführender/Ausführende: Marcus Thompson /Viola
Ausführender/Ausführende: Randall Hodgkinson /Klavier
Länge: 03:25 min
Label: Northeastern 227

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