Gedanken für den Tag

Cornelius Hell über Alexander Solschenizyn

"Die Rettung der Menschheit besteht darin, dass alle alles angeht". Zum 100. Geburtstag von Alexander Solschenizyn Gedanken von Cornelius Hell, Literaturwissenschafter und Übersetzer. - Gestaltung: Alexandra Mantler

"Für mich gehört der Glaube zu den Grundlagen und Grundfesten des Lebens eines Menschen." Diesen Satz hat Alexander Solschenizyn 2007, ein Jahr vor seinem Tod, in einem Spiegel-Interview ausgesprochen. In seinen Romanen und Erzählungen spiegelt sich diese Überzeugung auf eine sehr subtile und unaufdringliche Weise wider. Auch der berühmte Satz aus seiner Nobelpreis-Rede "Die Rettung des Menschen besteht gerade darin, dass alle alles angeht" hat eine spirituelle Grundlage.

In seinen literarischen Werken wird sie aber nie groß verkündet, sondern tritt in den Hintergrund der Genauigkeit und des ungeheuren Detailreichtums, mit der Solschenizyn seine autobiografischen Erlebnisse künstlerisch gestaltet. Das gilt gerade auch für den berühmten Roman "Krebsstation". Darin konfrontiert die Grenzsituation der Krebserkrankung und die abgeschlossene Welt des Krankenhauses die einzelnen Romanfiguren mit den Grundfragen ihrer Existenz.

Die spirituelle Tiefe seiner Romane verteidigte Solschenizyn auch gegen die Konsumwelt des Westens und die Profitgier des freien Marktes. Als er 1994 nach zwanzigjährigem Exil nach Russland zurückkehren konnte, wollte er das Land auf einem christlichen und nationalen Fundament erneuern. Er kritisierte Gorbatschow und Jelzin und lehnte Auszeichnungen durch sie ab, während er sich in seinen letzten Lebensjahren vom ehemaligen KGB-Offizier Putin zweimal in seiner Wohnung besuchen ließ und seinen Orden annahm. Mit Putin unterhielt er sich über die Größe Russlands.

Auf diese Weise hat Solschenizyn sein großes weltweites Prestige nach und nach verloren und auch in Russland nach seiner Rückkehr kaum mehr Einfluss auf die intellektuellen Debatten genommen. Seine Schriften aus den letzten Jahrzehnten sind oft pathetisch und von der subtilen Genauigkeit seiner Romane und Erzählungen weit entfernt. So kann man Solschenizyn auch als Zeugen für die Ambivalenz von Religion lesen: Wenn man daraus unreflektiert politische Konzepte ableitet, wird sie gefährlich. Aber sie zeigt ihre - auch literarische - Kraft in einem Satz wie: "Die Rettung der Menschheit besteht gerade darin, dass alle alles angeht."

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Peter Iljitsch Tschaikowsky/1840 - 1893
Album: SERENADEN AUS RUSSLAND
Titel: Entr'act < Zwischenspiel > Nr.7 op.67a zu der Schauspielmusik nach Shakespeares Tragödie "Hamlet"
Orchester: RIAS SInfonietta
Leitung: Jiri Starek
Länge: 02:00 min
Label: Koch 316112

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