Zwei Tshirts mit dem Ex-Präsident und dem neuen Präsident hängen zum Verkauf auf einem Straßenstand in Brasilien

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Kurswechsel in Brasilien

Bestandsaufnahmen einer brüchigen Demokratie (1). Gestaltung: Ulla Ebner, Ina Zwerger

Im größten Land Lateinamerikas hat eine neue Ära begonnen. Anfang des Jahres hat der ultrarechte Ex-Militär Jair Messias Bolsonaro das Präsidentenamt in Brasilien übernommen. Nimmt man seine Ankündigungen ernst, so dürfte dort kaum ein Stein auf dem anderen bleiben.
In den vergangenen 15 Jahren wurde die Geschichte des Landes zu einem großen Teil von der Politik der linken Arbeiterpartei (PT) geprägt.

Brasilien galt als Vorzeigeland in punkto Armutsbekämpfung. 40 Millionen Menschen stiegen aus der Armut in eine untere Mittelschicht auf, der Hunger im Land wurde quasi ausgerottet, tausende Angehörige sogenannter bildungsferner Schichten, bekamen die Chance auf ein Universitätsstudium. Der brasilianische Kultursektor blühte auf.

Doch die Arbeiterpartei ist zum Teil an ihren eigenen Erfolgen gescheitert. Der Aufstieg armer Gesellschaftsschichten hat die Mittelschicht verärgert, sie fühlte sich von der Politik übergangen. Die PT hat demokratische Institutionen gestärkt, unabhängige Korruptionsermittlungen ermöglicht - und geriet selbst unter deren Räder. Eine schwere Wirtschaftskrise und die Aufdeckung riesiger Korruptionsskandale in fast allen Parteien haben das Vertrauen in das politische System stark beschädigt.

In Mitten dieser Krisen schlug die Stunde des polternden Bolsonaro, der sich - obwohl schon 30 Jahre als Abgeordneter tätig - erfolgreich als "Anti-System-Kandidat" inszenieren konnte. Der neue Präsident hat angekündigt, im Land "aufräumen" zu wollen. Mit harter Hand will er Korruption und Drogenkriminalität bekämpfen. Kritiker/innen befürchten einen massiven Demokratieabbau in den kommenden Jahren.

Das wirtschaftspolitische Projekt der neuen Regierung setzt Kurs auf eine neoliberale Wende. Garant dafür ist der Finanzmarktguru Paulo Guedes. Dieser plant einen harten Sparkurs, Kürzung der Sozialleistungen, Privatisierungen und die Öffnung der Märkte. Zu befürchten ist, dass die Ungleichheit wieder dramatisch steigen wird und die Erfolge im Bereich der Armutsbekämpfung zunichte gemacht werden.
Das gesellschaftspolitische Projekt des neuen Präsidenten birgt enormen Sprengstoff. Bolsonaro glaubt nicht an den Klimawandel, er bekämpft stattdessen homosexuelle Menschen, indigene Bevölkerungsgruppen und Feminist/innen.

Sexualaufklärung und das Hinterfragen traditioneller Geschlechterrollen wird als "Gender Ideologie" verunglimpft und soll aus Schulen und Universitäten verbannt werden, ebenso die emanzipatorischen Pädagogik des Brasilianers Paulo Freire. Unterstützt wird Bolsonaro unter anderem von den einflussreichen evangelikalen Pfingstkirchen. Sie sind längst zu einer politischen Macht im Land geworden, stellen ein Drittel der Abgeordneten im Parlament und betreiben eigene TV-Sender. Manipulierend haben auch soziale Medien in den Wahlkampf eingegriffen. Insbesondere Whatsapp wurde zur Spielwiese exzessiver Fake News Kampagnen.

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