Medizin und Gesundheit

Luftverschmutzung - Der unsichtbare Tod

Am Thema Luftverschmutzung in Deutschland kommt man derzeit ja gar nicht mehr vorbei.
Vorgestern veröffentlichte das ICCT (International Council on Clean Transportation) eine neue Untersuchung. Auf Deutschland bezogen sind 13.000 vorzeitige Todesfälle jährlich auf die Luftverschmutzung durch den Verkehr zurückführen. Dividiert durch 8 wären das für Österreich etwa 1.620 Tote. Deutschland nimmt weltweit den 4. Platz ein - nach China mit 114.000, Indien mit 74.000 und den USA mit 22.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr.

Die Einheit "vorzeitige Todesfälle" ist unter Statistikern umstritten. Denn es stirbt natürlich niemand am Feinstaub oder an Stickoxiden, sondern an Erkrankungen, die durch diese Schadstoffe verursacht werden. Eine andere Messeinheit wäre zum Beispiel verlorene Lebenszeit. Das ergibt dann wesentlich weniger dramatisch klingende Werte. Eine Studie aus dem Jahr 2016 ermittelte den Verlust an Lebenszeit in Deutschland durch die bestehende Luftverschmutzung auf 0,39 Jahre. In besonders schwer belasteten Gegenden in Asien oder Afrika beträgt dieser Wert bis zu 1.9 Jahre.

Von kleinen Rechenfehlern...mit großer Wirkung

In Deutschland schlägt die Debatte über die tatsächliche Bedeutung von Luftschadstoffen ja sehr hohe Wellen. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte der pensionierte deutsche Lungenfacharzt und ehemalige Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, Professor Dieter Köhler, einen folgenschweren Aufsatz. Darin bezweifelte er die Angaben der WHO, die mit sieben Millionen Todesfällen weltweit aufgrund der Luftverschmutzung rechnet, obwohl er sich wissenschaftlich niemals mit dieser Materie auseinandergesetzt hat. Rund 100 Kollegen hatten seine Stellungnahme unterzeichnet, in der er die in Deutschland geltenden Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid als "völligen Blödsinn" bezeichnet. Kurz darauf musste Dieter Köhler "Rechenfehler" eingestehen.

Was in der derzeitigen Debatte kaum erwähnt wird: Die wichtigen Luftschadstoffe Ozon, Methan, Feinstaub und Distickstoffoxid sind auch am derzeitigen Klimawandelt beteiligt, indem sie die Menge an Sonnenergie, die die Erde zurückhält, erhöhen.

Ursachen für Schadstoffe

Industrie, Straßenverkehr, Landwirtschaft, Energiegewinnung und die Natur selbst, das alles sind Quellen von Luftschadstoffen, die sich auf die Gesundheit auswirken. Teilweise bedingen sich diese Schadstoffe gegenseitig, so tragen etwas Stickoxide auch zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei. Spürbar wird das durch gereizte Schleimhäute und Atemwegserkrankungen. Im Gegensatz zu Feinstaub haben Stickoxide keine natürliche Quelle, sie entstehen durch Verbrennung. In Innenräumen kann deshalb bei Verbrennungsprozessen wie in Gasherden, Gasthermen oder Kaminfeuer eine hohe Stickstoffdioxid-Konzentration auftreten.

Studienlage erdrückend

Nach Angaben der WHO ist die Schadstoffbelastung in der Luft für rund sieben Millionen Todesfälle jährlich verantwortlich. Ein Viertel aller Schlaganfälle, knapp 30 Prozent aller Lungenkrebse und 43 Prozent aller chronischen Lungenleiden sind laut WHO ebenso auf den Dreck in der Luft zurückzuführen. Hohe Luftschadstoffbelastungen schaden besonders jenen, die bereits krank sind. Das zeigt sich an den in kurzer Zeit steigenden Zahlen der Krankenhaus-Akutzuweisungen, Spitalsaufnahmen, Asthmaanfälle und COPD-Verschlechterungen, wenn die Feinstaubbelastungen erhöht sind.
Bereits während der Schwangerschaft können Ungeborene durch hohe Schadstoffwerte in der Luft geschädigt werden. Ergebnisse einer Studie der John Hopkins Universität zeigen, dass das Atmen von verunreinigter Luft während der Schwangerschaft einen direkten negativen Einfluss auf die kardiovaskuläre Gesundheit im weiteren Verlauf der Kindheit hat.

Die unsichtbare Gefahr

Die Zeiten, in denen es dunkel aus den Auspuffen von Autos rauchte und aus den Fabrikschloten stinkende, schwefelgelbe Wolken entwichen, sind vorbei. Stickstoffdioxid sowie Feinstaub sind nicht sichtbar. Damit ist es schwerer in der Bevölkerung Bewusstsein zu generieren. Obwohl Stickstoffdioxid ein ätzendes Reizgas ist, nimmt man es erst ab einer bestimmten Menge durch Brustschmerzen, Atemnot oder Husten war. Auch Feinstaub ist für das menschliche Auge nicht sichtbar und das macht ihn gefährlich. Denn je kleiner die Partikel sind, desto tiefer dringen sie in den Körper ein. Ultrafeinstaubpartikel können sogar Entzündungen in Blutgefäßen auslösen, was bis zur Verkalkung von Arterien und der Entstehung von Blutgerinnseln führen kann.

Die große Mehrheit der Lungen- und Luftverschmutzungsexperten sind sich einig: Grenzwerte für die Außenluft müssen alle Menschen schützen, auch Säuglinge und ältere Menschen und das 24 Stunden am Tag.

Moderation: Univ.-Prof. Dr. Manfred Götz
Sendungsvorbereitung: Johanna Hirzberger, MA, Bakk. phil.
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Service

Sendungsgäste im Funkhaus Wien:

Prim.a Ass.-Prof.in Dr.in Sylvia Hartl
Fachärztin für Lungenheilkunde
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Assoc.-Prof. PD DI Dr. Hans-Peter Hutter
Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie
Department für Umwelthygiene und Umweltmedizin, Zentrum für Public Health
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Spitalgasse 23
A-1090 Wien
+43/(0)1/40160/34930
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Weitere Anlaufstellen und Info-Links:

Aktuelle Studie: "A global snapshot of the air pollution-related health impacts of transportation sector emissions in 2010 and 2015"
13.000 Deutsche sterben pro Jahr vorzeitig durch Verkehrsabgase
Geschichte von SLCP (Short-Lived Climate-forcing Pollutants)
Luftverschmutzung und Kimawandel
Luftverschmutzung - Infos der Europäischen Umweltagentur
Infografiken Gesundheit, Luftqualität, Verkehrslärm, Bewegung
Umweltbundesamt Österreich
Verkehrsclub Österreich
Wegweiser für eine gesunde Raumluft
Büro und Umwelt - Der umweltfreundliche Arbeitsplatz
Persönlichen Stickstoff-Fußabdruck berechnen
Täglicher Wetter- und Luftgüteindex
COPD Help - Die App für COPD Patienten

Buch-Tipps:

Kai-Michael Beeh, "Die atemberaubende Welt der Lunge", Verlag: HEYNE 2018

Stefan Galler, "Luftverschmutzung in urbanen Räumen: Analyse und Ansätze für eine nachhaltige Lösung", Verlag: Studylab 2017

Alan R. Wellburn, "Luftverschmutzung und Klimaänderung: Auswirkungen auf Flora, Fauna und Mensch", Verlag: Springer 2013

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