Karl Jaspers

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Gedanken für den Tag

Wolfgang Müller-Funk über Karl Jaspers

"Spurensuche des vergangenen Jahrhunderts". Anlässlich 50. Todestages von Karl Jaspers ruft der Literaturwissenschafter Wolfgang Müller-Funk Stichworte aus dessen Werk und dem Briefwechsel mit Hannah Arendt in Erinnerung. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Zu den Legenden, die das Jahr 1968 in die Welt gesetzt hat, gehört auch die Erzählung, wonach erst mit der Studentenbewegung der Weg frei geworden sei, die ,verdrängte' Vergangenheit aufzuarbeiten und die Gesellschaft demokratisch zu erneuern. In dieser Sicht erscheinen die 1950er und 1960er Jahre als eine Art von konservativem Mittelalter vor der Zäsur von 1968. Der unbequeme Denker Karl Jaspers ist ein gutes Beispiel dafür, dass es schon unmittelbar nach 1945 Stimmen gegeben hat, die sich kritisch mit einem Zeitgeist auseinandergesetzt haben, der von einer stillen Versöhnlichkeit gegenüber der damals tatsächlich jüngsten Vergangenheit und damit von einer Unversöhnlichkeit gegenüber deren Kritikern getragen war.

Die Idee der Demokratie sieht Jaspers durch einige Faktoren bedroht, durch den reinen Formalismus ohne entsprechende Offenheit in Kommunikation und Auseinandersetzung, durch Formen der Manipulation und durch die Übermacht von bestimmten Wirtschaftsinteressen. Eine solche Einschätzung bleibt heute im digitalen Zeitalter durchaus aktuell. Der kühle Einsatz von Tatsachenfälschungen, die irreversiblen Verleumdungen missliebiger Kontrahentinnen und Kontrahenten oder das ungenierte Lügen im Namen der eigenen Sache sind beredte Beispiele dafür, was Jaspers meint.

In der Demokratie steckt die Chance einer freien Welt, die die Unabhängigkeit der Menschen gewährleistet und deren sie zu ihrer Realisierung auch bedarf. Jaspers, der sich in den ersten beiden Jahrzehnten nach 1945 in beinahe alle politischen Debatten der Bundesrepublik einmischt, spitzt diesen Sachverhalt zu, wenn er meint, dass die Demokratie gegenüber Formen "totaler Herrschaft" einzig den Vorzug habe, dass es eine Chance, "frei zu werden", gibt. Ein Ort, in dem diese Freiheit erprobt werden kann, ist für Jaspers die Universität. In ihrer Beschaffenheit spiegelt sich nicht zuletzt die Beschaffenheit des demokratischen Gemeinwesens.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Sergej Rachmaninoff/1873 - 1943
Album: CANTABILE - BERÜHMTE ZUGABEN
Titel: Romanze für Violine und Klavier op.6 Nr.1 (00:05:47)
Solist/Solistin: Christian Funke /Violine
Solist/Solistin: Herbert Kaliga /Klavier
Länge: 05:47 min
Label: Ars Vivendi 2100156

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