Säulengarten auf Zypern

ORF/CHRISTIAN SCHEIB

Gedanken für den Tag

Gedichte aus Zypern

"Aphrodites Insel". Gedichte von zeitgenössischen Dichterinnen und Dichtern aus Zypern. - Gestaltung: Alexandra Mantler

Mein Vater sagt,
Dass jeder Mensch
Sein Land lieben muss.
Mein Land ist
Geteilt in zwei Hälften.
Welchen der beiden Teile
Soll ich nun lieben?

Heißt es in einem Gedicht der türkisch-zyprischen Autorin Nese Yacin. Sie ist Dozentin für türkische Sprache und Literatur an der Universität Zypern, Soziologin, Radiomoderatorin und Friedensaktivistin. 1965 flüchtete sie mit ihrer Familie in den Norden der Insel. Aus politischer Überzeugung siedelte sie später in die Republik Zypern um, wo sie sich seither in der griechisch-türkischen Bürgerbewegung engagiert. Yacin gießt die Erfahrung ihrer zweifachen Vertreibung in poetische Form:

Das Heft aus Feuer

Nichts kann ich genau erzählen,
eine Illusion ist der Bericht.
Das Leben, von der Zeit beklagt,
ist wirklich ein Wald,
wild und tyrannisch.

Das Wort schmerzt so tief,
dass ich an Orten,
seit Jahrhunderten zerbrochen,
morsche Kladden rieche,
aus der Asche, die mich schuf,
unbekanntes Schämen ernte.

Ein wenig bin ich die anderen,
die anderen - ein wenig sind sie auch ich,
ein nackter Zweig in klirrender Kälte,
eine wilde Stimme aus langer Nacht.

Das Gesicht meiner Mutter,
völlig erschöpft -
Kind war mein Vater,
wehrlos war er, nahm daraus die Kraft.
Was war denn ich,
was meine Brüder, die Schwestern,
sahen sie nicht,
dass mein Körper winzig war?
Knirschend wurde ich zermalmt.

In ein Heft aus Feuer kratzte ich die Worte,
die mein Sehnen flüsterte,
damit sie frei wird, meine Seele, von fremder Gewalt,
auf dass meine Stimme einen Geliebten erreicht.

Warum wissen die Meister der Worte nicht,
was an Leben man in den Häusern zerschoss?
Die Begriffe, die sie schufen: Sprachlos sind sie
für das Stöhnen der bedrückten Mädchen.

In dem Krickelkrakel der Notizen
verbarg sich ein Leben auf der Flucht -
als ob es ein anderes Land gäbe,
jenseits des Menschen.

Das Rosenmädchen, das im Haus verwelkte,
fürchtete die Einsamkeit, und dennoch:
Träume rief der Morgen dann herbei,
auf das Stöhnen hockten sich die Lichter.

Immer verflucht wurden die Kladden,
in die man sich einschreibt und sich bekennt,
auf dass die Straße kein Wort verstört.
Allen gab das Leben einen Platz
und streifte sie, zog dicht an ihnen vorbei,
an den Einsamkeiten kratzend.

Die herzlosen Worte, die man mich lehrte,
nie ließen sie meine Stimmbänder zittern.
Immer wurde die heimliche Geschichte
der traurigen Mädchen
mit Worten geschrieben, die es nicht gibt.

(Aus dem Türkischen von Monika Carbe)

Service

Buch, "Zypern literarisch", herausgegeben von der Botschaft der Republik Zypern in Berlin

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Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: Anonym/Zypern 1413 - 1422
Album: DIE INSEL DES HEILIGEN HYLARION - MUSIK AUS ZYPERN
Titel: Bonne et belle - Instrumentalstück für Laute
Solist/Solistin: Peter Becker /Tenor
Ausführende: Ensemble PAN - Project Ars Nova
Solist/Solistin: Karen Clark Young /Mezzosopran
Ausführender/Ausführende: Michael Collver /Countertenor, Horn
Solist/Solistin: Randall Cook /Viola da gamba
Ausführender/Ausführende: John Fleagle /Tenor, Harfe
Solist/Solistin: Steven Lundall /Trompete
Ausführender/Ausführende: Shira Kammen /Viola da gamba
Solist/Solistin: Margret Raines /Mezzosopran
Ausführender/Ausführende: Laurie Monahan /Mezzosopran
Ausführender/Ausführende: Crawford Young /Laute
Länge: 02:58 min
Label: New Albin Records NA 038 CD

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