Medizin und Gesundheit

"Wir behandeln alle gleich ...?" - Lesbische und bisexuelle Gesundheit

Seit einigen Jahren widmet man der "Gender-Medizin" viel Aufmerksamkeit. Es wird vermehrt auf die biologischen und psychosozialen Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei der medizinischen Betreuung Rücksicht genommen. Angesichts des nun auch amtlichen "dritten Geschlechts" geht diese Definition sicher nicht weit genug. Außerdem sind auch Frauen keine homogene Gruppe. Gerade für lesbische oder bisexuelle Lebensweisen ist das Bewusstsein im medizinischen Betrieb kaum vorhanden.

Diskriminierungen in der Ordination

Sowohl in der Ärzteschaft als auch beim Pflegepersonal fehlt es an Wissen über die spezifischen Krankheitsrisiken oder Gesundheitsbedürfnisse von lesbischen und bisexuellen Frauen. Noch vor einem Jahrzehnt berichteten einer Studie zufolge über 20 Prozent aller Befragten über Diskriminierungserfahrungen im Gesundheitssystem. Ebenso viele gaben an, ihre soziosexuelle Identität aus Furcht vor Stigmatisierung und Ausgrenzung im medizinischen Bereich nicht offen zu legen, erläutert unser Sendungsgast Dr.in med. Gabriele Dennert, Expertin für Sozialmedizin und Public Health mit Schwerpunkt Geschlecht und Diversität an der FH Dortmund.

Mangelndes Wissen des medizinischen Personals

Selbst in der Gynäkologie wird die Frage nach der sexuellen Ausrichtung nicht ergebnisoffen gestellt. Man geht von der "Norm", einer heterosexuellen Beziehung, aus. Dies führe dazu, so die Chirurgin Stephanie Strobl vom Wiener AKH, die auch als Mitglied in der Regenbogengruppe der Meduni Wien tätig ist, dass sich Frauen jedes Mal aus Neue "outen" müssen. Der Umstand, dass sich die Patientinnen nicht offen deklarieren, führt letztlich auch zu fehlerhaften Differentialdiagnosen und Therapieempfehlungen. Früherkennungsuntersuchungen zu Gebärmutter- oder Brustkrebs werden von lesbischen Frauen weniger in Anspruch genommen, sexuell übertragbare Erkrankungen - im Gegensatz etwa zu homosexuellen Männern - auch von ärztlicher Seite wenig thematisiert.
Da sexuelle Orientierung immer auch als eine soziale Kategorie gesehen werden muss, wird künftig auch der Bereich der Pflege mit dieser Thematik konfrontiert werden. Zunehmend möchten mehr ältere Menschen ihre gleichgeschlechtlichen Lebensweisen auch offen leben. Eine Entwicklung, auf die das Pflegepersonal keineswegs ausreichend vorbereitet ist.

Teurer Kinderwunsch

Vor allem ist es aber der Kinderwunsch, bei dem Frauen in lesbischen Lebensgemeinschaften diskriminiert sind. Zwar ist die künstliche Befruchtung (IVF) in Österreich seit der Novellierung des Fortpflanzungsmedizingesetzes 2015 auch lesbischen Paaren, die in einer eingetragenen Partnerschaft leben bzw. verheiratet sind, erlaubt. Allerdings unterstützt der IVF-Fonds, der die Kosten bei unerfülltem Kinderwunsch zum größeren Teil übernimmt, nicht alle. Da an die Geldleistung eine "medizinische Notwendigkeit" geknüpft ist - bei heterosexuellen Paaren ist in vielen Fällen eine schlechte Spermienqualität ursächlich - müssen gesunde Frauen in lesbischen Beziehungen die beträchtlichen Kosten selbst tragen. Der Kinderwunsch alleine ist in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung nicht förderungswürdig.

Laute Signale der LGBTIQ-Community

Um die Awareness für die Vielzahl sexueller und geschlechtlicher Identitäten in der Bevölkerung zu steigern, findet alljährlich die Euro-Pride der LGBTIQ-Community statt. Vom 1. bis 16. Juni 2019 ist Wien Gastgeberstadt dieser großen Veranstaltung, bei der Lesben, Schwule, Bisexuelle, Heterosexuelle, Trans-, Cis-, Inter- und queere Personen gemeinsam für mehr Akzeptanz in der Gesellschaft auftreten.

Moderation: Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos
Sendungsvorbereitung: Dr. Ronny Tekal
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Reden auch Sie mit! Wir sind gespannt auf Ihre Fragen und Anregungen. Unsere Nummer: 0800/22 69 79, kostenlos aus ganz Österreich.

Haben Sie sich in einer Ordination oder Ambulanz aufgrund ihrer lesbischen, bisexuellen oder queeren Lebensweise diskriminiert gefühlt?

Leben Sie in einer lesbischen Beziehung und haben eine IVF in Anspruch genommen?
Haben Sie sich dabei gut betreut gefühlt?

Was würden Sie sich vom medizinischen Personal wünschen, um den Umgang zu verbessern?

Hat die gesellschaftliche Stigmatisierung Ihrer Meinung nach abgenommen?

Service

Studiogäste im Funkhaus Wien

Verena Flunger, BA
Sozialarbeiterin
Leiterin des Regenbogen Familienzentrums Wien
Franzensgasse 25/11
A-1050 Wien
Tel: +43/1/286 96 75
E-Mail
Homepage

Dr.in Stephanie Strobl
Fachärztin für Allgemein- und Viszeralchirurgie
Zentrum für Brustchirurgie, Klinische Abteilung für Allgemeinchirurgie der Meduni Wien
Mitglied der Regenbogengruppe im Wiener AKH
Währinger Gürtel 18-20
A-1090 Wien
Tel.: +43/1/40400/68960
E-Mail
Homepage

Am Telefon:

Prof.in Dr.in Gabriele Dennert
Ärztin und Expertin für Public Health mit Schwerpunkt Geschlecht und Diversität
Angewandte Sozialwissenschaften
Fachhochschule Dortmund
Emil-Figge-Str. 44
D-44227 Dortmund
Tel.: +49/231/9112/6830
E-Mail
Homepage


Info-Links:

Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (WASt)
Regenbogengruppe MedUni Wien und AKH Wien (Gruppe für bi-/hetero-/inter-/homo-/transsexuelle*, transgender und queere Mitarbeiter/innen, Studierende und Unterstützer/innen)
Euro Pride 2019
Regenbogen-Familienzentrum Wien
FAmOs Regenbogenfamilien
Visibility - Anlaufstelle für Bi*sexuelle und Pansexuelle in Österreich
HOSI Wien - Homosexuelle Initiative
Information über die Kostenübernahme für medizinisch unterstützte Fortpflanzung durch IVF-Fonds (Sozialministerium)
Gesundheitsministerium zu Homo-, Hetero- und Bisexualität
Netzwerk* Sexuelle und geschlechtliche Diversität in Gesundheitsforschung- und versorgung


Buch-Tipps:

Udo Rauchfleisch, "Schwule, Lesben, Bisexuelle: Lebensweisen, Vorurteile, Einsichten",
Vandenhoeck&Ruprecht 2011

Johannes Kram, "Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber ...: Die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft", Querverlag 2018

AlberTina Lang, "Die große Verwechslung: Homosexualität, Transidentität und abweichendes Geschlechterrollenverhalten", Promaska-Brand 2016

Udo Rauchfleisch, "Mein Kind liebt anders - Ein Ratgeber für Eltern homosexueller Kinder",
Patmos Verlag 2012

Karoline Harthun, "Nicht von schlechten Müttern: Abenteuer Regenbogenfamilie", Kösel Verlag 2015

Sendereihe