Wagner, Sibelius, Debussy und das Heilige

8. April 2020, 14:05

Komprimiertes metaphysisches Adagio

An den Beginn seines Konzerts stellte der in London geborene 36-jährige Robin Ticciati Auszüge aus einem "metaphysischen Adagio", wie der Philosoph Ernst Bloch Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" nannte. 2003 hatte Claudio Abbado die Orchestersuite zum dritten Akt "Parsifal" zusammengestellt. Die Solostimmen sind entfernt, bloß der Chor darf zum Einzug der Ritter in die Halle von Montsalvat, in der Amfortas den Gral enthüllen soll, singen, auch in der das himmlische Paradies beschwörenden Schlussszene.


Heilige Musik

"Ich schreite kaum, doch wähn' ich mich schon weit", wundert sich Parsifal im 3.Aufzug, worauf Gurnemanz den durch Mitleid wissenden Toren weiter verwirrt: "Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit." Nicht nur in seiner 7. Symphonie scheint die Musik oft zugleich vorwärts zu drängen und kaum zu schreiten. In den Instrumentengruppen finden sich verschiedene - hier Beschleunigung, dort Bremsung. Mit einem gar nicht so unähnlichen metaphysischen Adagio, mit einem hymnischen Adagiogesang, beginnt und endet die einsätzige Symphonie Nr.7. In den drei Großabschnitten seiner letzten erhaltenen Symphonie lassen sich drei Unterabschnitte und insgesamt 17 (!) Tempoüberschriften finden, Markierungen, die Dirigenten und Orchester vor nicht geringe Schwierigkeiten stellen. Wer die Musik gut kennt, der sollte sich dem organischen Fluss überlassen, raten finnische Dirigenten wie Osmo Vänskä, Hannu Lintu oder John Storgards. Die Symphonie entstand parallel zu der Arbeit an den Symphonien 5 und 6 in den Jahren 1918 bis 1924. Sibelius habe in der Siebenten "von seinem Ego Abstand genommen," er nehme, wie schon wie in der Fünften, "einen kosmischen Standpunkt" ein, so Vänskä. "Die Siebente ist heilige Musik."


Fragmente eines Mysterienspiels

Eine Klammer zu den Auszügern aus dem Bühnenweihfestspiel "Parsifal" bilden die "Fragments Symphoniques", die Désiré-Émile Inghelbrecht ausDebussys Mysterienspiel "Le Martyre de Saint Sébastien" zusammengestellt hat. 1912/13, während seiner Arbeit an der Ballettmusik zu "Jeux", forderte Debussy, ein Orchester müsse in der Lage sein, durchsichtige Farben wie jene im 2. Akt von Wagners Bühnenweihfestspiel "Parsifal" hinzutupfen. Die Vorstellung einer Erlösung dank der Nachahmung eines Vorbildes liegt nicht nur "Parsifal", sondern auch Debussys "Das Martyrium des Heiligen Sebastian" zugrunde. In beiden Werken finden sich christusähnliche Figuren: Amfortas mit seiner vom Speer geschlagenen Wunde und Sebastian, der, von Pfeilen durchbohrt, den die Menschheit erlösenden Tod finden soll. Die Verbindungen von Kult, Ritus, Religion und Theater sind ja keine Erfindung des 19. Jahrhunderts bzw. frühen 20. Jahrhunderts.

Sendereihe

• Das Ö1 Konzert

Gestaltung

• Peter Kislinger