Kurt Marti 2010

HEKTOR LEIBUNDGUT

Zwischenruf

100. Geburtstag von Kurt Marti

"Querdenkend und Wortgewaltig - Zum 100. Geburtstag von Kurt Marti" von Thomas Hennefeld, Landessuperintendent der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich

Nicht nur Menschen, sondern auch Worte können in Geiselhaft genommen werden. So geschehen mit dem Wort "Querdenker" bei diversen Corona-Demos. Da tummeln sich alle möglichen Gruppierungen von Corona-Verharmlosern bis zu Verschwörungs-Gläubigen, für mich alles nur keine Querdenker im klassischen Sinn.

Ein Querdenker par excellence hingegen war der Pfarrer, Dichter und Theologe Kurt Marti, der heute vor 100 Jahren geboren wurde. Seine Gedanken sind voll des Geistes, unorthodox und unkonventionell, überraschend und inspirierend, nüchtern und radikal. Manche seiner Texte bringen mich zum Lachen. Manchmal bleibt mir das Lachen aber auch im Hals stecken, wenn er z.B. schreibt: "Klage eines Flüchtlings im Asylland: Wann endlich darf ich sagen, was ich möchte, anstatt immer nur fragen zu müssen, was ich darf?

Kurt Marti ist ein Unbequemer. In seiner Lyrik und seinen Essays entlarvt er Lüge und Verlogenheit und legt seinen literarischen Finger in die Wunden der Gesellschaft und auch seiner Kirche, wenn er schreibt: "Oft hat man Grund zu sagen: Der Teufel ist los. Nie heißt es: Gott ist los. Halten ihn die Kirchen so sicher unter Verschluss?"

Den Großteil seines Lebens war er als Pfarrer der reformierten Kirche tätig. Er steht in der Tradition des Zürcher Reformators Ulrich Zwingli, der zur damaligen Zeit auch schon als Querkopf galt, und war stark geprägt vom bedeutenden evangelisch-reformierten streitbaren Theologen Karl Barth. Als Sprachkünstler und Wortgewaltiger wird er manchmal in einem Atemzug mit den beiden großen Schweizer Schriftstellern Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch genannt. Seine Texte sind verwandt mit jenen der evangelischen Theologin Dorothee Sölle, mit ihrem Einsatz für soziale Gerechtigkeit und jenen des politischen Lyrikers, Humanisten und Menschrechtsaktivisten Erich Fried. Im Zentrum von Kurt Martis Dichtung steht die Frage nach Gott, und was er mit dem Leben der Menschen zu tun hat. Sein Denken über Gott und die Welt liegt quer zur Gesellschaft. In Bezug auf den Umgang der Menschen mit den Tieren schreibt er: "Wäre der Mensch Gottes Abbild, müssten die Tiere Atheisten sein."

Wie Karl Barth, der sich gegen das nationalsozialistische Regime stellte und dafür in Deutschland seine Professur verlor, blies auch Marti ein scharfer Wind des gut situierten Schweizer Bürgertums, entgegen.

Als verkappter Linker, Marxist und Nestbeschmutzer verschrien, wurde ihm der Lehrstuhl für Predigtlehre an der Universität verweigert.

Marti war stets ein Querkopf, ein Quergeist und Querdenker. Für seine Kritiker eher ein Quälgeist und Anarchist. Dazu passt seine Liebe zum Jazz, in dem seiner Ansicht nach Melancholie und Aufsässigkeit eine vitale Mischung eingehen.

Anders als den selbsternannten Corona-Querdenkern ging es Marti nicht um sein Ego und nicht um Rechthaberei, sondern um die Mitmenschen und um die ganze Schöpfung, der er liebevoll zugewandt war. Gott nannte er einmal jenen Verrückten, der noch immer an Menschen glaubt.

Hoch leben die Querdenkenden aller Zeiten, die diesen Namen auch verdienen.

Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Georges Delerue
Komponist/Komponistin: Giovanni Fusco
Bearbeiter/Bearbeiterin: Eric Schaefer
Album: KYOTO MON AMOUR
Titel: Hiroshima mon amour/instr. / Thema a.d.gln.Film
Solist/Solistin: Eric Schaefer /Drums m.Begl.
Ausführender/Ausführende: Kazutoki Umezu /Klarinette, Bassklarinette
Ausführender/Ausführende: Naoko Kikuchi /Koto
Ausführender/Ausführende: John Eckhardt /Bass
Länge: 07:05 min
Label: ACT 98352

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