Die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft

25. Mai 2021, 13:00

Verwundbarkeit, also die Möglichkeit, verletzt zu werden oder Schaden zu erleiden, ist ein ebenso selbstverständlicher, alltäglicher, wie auch unerwünschter Zustand. Einzelne und Gemeinschaften versuchen sich dagegen mit vielen Mitteln zu schützen - auch mit solchen, die wiederum Verletzungen und Leid verursachen, das zeigt sich in Krisengebieten wie zuletzt im Nahen Osten.

Verwundbar, im doppelten Sinn angreifbar zu sein, ist aber auch eine Bedingung für manche Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen, für Empathie und Zärtlichkeit; es ist Voraussetzung und Folge von Liebe. Verwundbarkeit ist ein Antrieb für das Entstehen von Gemeinschaft, die Entwicklung sozialer Systeme, eine Quelle der Kreativität.

Forscher/innen verschiedener Disziplinen untersuchen Verwundbarkeit bzw. Vulnerabilität als Schlüssel zum Verständnis von Gesellschaft und erkunden ihre vielen Facetten schon seit rund vier Jahrzehnten. Doch erst die Pandemie der letzten eineinhalb Jahre hat vor Augen geführt, wie verletzlich Menschen auch in reichen, vermeintlich gut abgesicherten Ländern und Gemeinschaften sind - das "Verletztlichkeitsparadox" nennt es die Vulnerabilitätsforscherin Hildegund Keul.

Viele Widersprüche wurden dabei sichtbar: Man sprach vom Schutz vulnerabler Gruppen, hat zahlreiche Menschen aber ausgeschlossen und umso stärker gefährdet: Obdachlose, Geflüchtete in abgesperrten Lagern, Wanderarbeiter. Junge Menschen konnten nur eingeschränkt Ausbildungen machen und mussten auf vieles verzichten. Gleichzeitig zeigten viele Menschen große Hilfsbereitschaft und Engagement.

Die Religionswissenschaftlerin und Germanistin Hildegund Keul sieht im Konzept Vulnerabilität ein neues, entscheidendes Prinzip - ein Dispositiv der Macht - das Denken und Handeln bestimmt, unsere Interaktionen, politischen Institutionen und Wissenschaft. Sie thematisiert in ihren Forschungen und Publikationen auch die dunkle Kehrseite der Vulnerabilität: Vulneranz, die menschliche Fähigkeit, andere zu verletzen.

Johann Kneihs spricht mit Hildegund Keul und mit den Hörer*innen über das erneuerte Bewusstsein unserer Verletzlichkeit und die ethischen Fragen, Konflikte und Lösungsansätze, die sich daraus ergeben.

Sie sind herzlich eingeladen, sich an der Sendung zu beteiligen: Rufen Sie in der Sendung an unter 0800 22 69 79 - kostenlos aus ganz Österreich - oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at

Service

Buchtipp: "Verwundbar. Theologische und humanwissenschaftliche Perspektiven zur menschlichen Vulnerabilität", Echter Verlag, Würzburg 2020
Forschungsprojekt Verwundbarkeiten von Hildegund Keul

Sendereihe

• Punkt eins

Gestaltung

• Johann Kneihs