Johanna Schwanberg

APA/ROLAND SCHLAGER

Gedanken für den Tag

Johanna Schwanberg über die Künstlergedenktage 2021

"Passion für die Kunst". Die Direktorin des Dom Museum Wien spürt bedeutenden Künstler/innen unterschiedlicher Jahrhunderte nach

Louise Bourgeois - Sainte Sébastienne

Was für eine berührende kleine Skulptur! Zu sehen ist ein weiblicher Körper. Er ist aus rosarotem Wollstoff gefertigt. Auffallend ist das Fehlen der Arme. Die Figur vermittelt eine Wehrlosigkeit, die im Gegensatz zum kraftvollen Körperausdruck der Frau steht. Am meisten erschrecken mich die großen Stahlpfeile, die im weichen Körper stecken. An diesem Attribut wie auch am Titel wird sichtbar, dass die 2002 entstandene Plastik von Darstellungen des heiligen Sebastian beeinflusst ist, einem der am häufigsten behandelten christlichen Märtyrer der Kulturgeschichte.

Geschaffen wurde diese "Sainte Sébastienne" von der Grande Dame der Bildhauerei, Louise Bourgeois, deren Geburtstag sich heuer im Dezember zum 110. Mal jährt. 2010 ist sie hochbetagt in New York gestorben.

Louise Bourgeois ist faszinierend, weil sie sich in einer männerdominierten Sparte, der Bildhauerei, durchgesetzt hat. Mit einer eigenständigen Bildsprache und einer unverwechselbaren Themenwahl, die gleichermaßen persönlich wie gesellschaftspolitisch relevant ist. Gerade vor dem Hintergrund der MeToo-Debatten wie auch der zahlreichen erschütternden Gewaltverbrechen an Frauen in Österreich in den letzten Jahren erscheint Louise Bourgeois' "Sainte Sébastienne" aktueller denn je. Selten habe ich ein Objekt gesehen, das Gewalt an Frauen so unspektakulär, so ergreifend, so wenig voyeuristisch zur Sprache bringt wie dieses.

Zugleich interessiert mich die Bezugnahme auf die Figur des heiligen Sebastian, spiegelt sie doch wider, wie prägend die sakrale Bildwelt auch heute noch ist. Ab 1987 setzte sich die Künstlerin immer wieder mit dieser Figur auseinander, auch in Form von Aquarellen, Druckgrafiken, Tusche- und Kohlezeichnungen. Der Märtyrer bildete eine passende Vorlage für ihr Thema, der Anfeindung von außen. Die Künstlerin hat die Skulptur als Selbstporträt bezeichnet und gemeint: "Es zeigt einen Seinszustand unter Angriff; man ist verängstigt." Sie fragt sich: "Was macht eigentlich eine Person, der heftig zugesetzt wird?"

Louise Bourgeois' Kunst ist für mich deshalb so beeindruckend, weil sie deutlich macht, dass ein Mensch nur überzeugen kann, wenn er seine Ängste und Verwundungen nicht verbirgt. Dadurch wird er zwar verletzbar, aber auch offen und zugänglich für Kommunikation und Begegnung.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Marin Marais/1656 - 1728
Album: COLLECTIO ARGENTEA / Vol.16
Titel: La Sonnerie de Sainte Genevieve du Mont de Paris - für Violine, Viola da gamba und B.c.
Gesamttitel: LE PARNASSE FRANCAIS - Musica Antiqua Köln
Ausführende: Musica Antiqua Köln
Leitung: Reinhard Goebel
Länge: 07:50 min
Label: DG 4370862

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