Johanna Schwanberg

APA/ROLAND SCHLAGER

Gedanken für den Tag

Johanna Schwanberg über die Künstlergedenktage 2021

"Passion für die Kunst". Die Direktorin des Dom Museum Wien spürt bedeutenden Künstler/innen unterschiedlicher Jahrhunderte nach

Albrecht Dürer - Konsum und Glaube

Immer wieder zieht mich das Blatt mit den vielen schwarzen Linien und weißen Flächen in seinen Bann. Wie kann ein Künstler ohne Farben eine solche Dynamik und Lebendigkeit erzeugen, frage ich mich. Noch mehr fasziniert mich die Arbeit, wenn ich mir vergegenwärtige, dass es sich um einen Holzschnitt und damit um eine Drucktechnik handelt, die in der mittelalterlichen Frühzeit des Mediums mit einer unbewegten Formensprache einherging. Nicht so beim ersten großen Meister dieses Verfahrens, Albrecht Dürer, dessen 550. Geburtstags heuer im Mai gedacht wurde. Dürer perfektionierte den Holzschnitt und machte die Grafik zu einem der Malerei gleichwertigen, autonomen Medium. Es ließ die Arbeiten zudem in größeren Mengen produzieren, die durch sein unverkennbares Monogramm "AD" zu einem Markenprodukt und gefragten Exportartikel wurden.

Mich begeistert Dürers um 1509 entstandener Holzschnitt aus der sogenannten "Kleinen Passion" nicht nur wegen der medialen Innovation, sondern auch wegen des Inhalts. Denn das Blatt zeigt eine impulsive biblische Szene, die in allen vier Evangelien geschildert wird - die "Vertreibung der Händler aus dem Tempel". Im Zentrum ist Christus so dargestellt, wie man ihn selten auf Bildern sieht. Gewaltsam verjagt er wütend und aufgebracht die Händler und Geldwechsler. Diese liegen erschrocken auf dem Boden oder weichen mit aufgerissenen Mündern zurück.

Ich freue mich, dass wir dieses Blatt aus der Albertina in der kommenden Ausstellung mit dem Titel "arm & reich" im Dom Museum Wien zeigen dürfen. Denn es spricht ein Thema an, das gerade durch die Verschärfung ökonomischer Ungleichheiten in Folge der Pandemie mehr denn je aktuell ist. Schließlich geht es darin um die Macht des Geldes, vor allem aber um das Verhältnis von materiellen und immateriellen Gütern, von Konsum und Glauben. Zugleich stellt sich durch Dürers Darstellung eines aufgebrachten Jesus die Frage, wie laut man aufschreien soll, wenn offensichtliches Unrecht geschieht ? eine Frage, die mich selbst immer wieder beschäftigt.

Auch wenn ich ein konsensualer Mensch bin, kenne ich aus meinem privaten und beruflichen Umfeld Situationen, die ich nicht friedlich und einvernehmlich lösen kann. Protest und Konflikt sind dann leider oft der einzige Weg, um mir als Mensch treu zu bleiben.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Anonym/um 15.Jh.
Album: ALTRE FOLLIE 1500-1750 - DIE FOLIA VON DER RENAISSANCE BIS ZUM BAROCK
Titel: Folias antiguas (CMP 121)
Ausführende: Hesperion XXI
Leitung: Jordi Savall
Ausführender/Ausführende: Jordi Savall /Baßgambe
Ausführender/Ausführende: Rolf Lislevand /Theorbe
Ausführender/Ausführende: Arianna Savall /Tripelharfe
Ausführender/Ausführende: Xavier Puertas /Violone
Ausführender/Ausführende: Carlos Barcia Bernalt /Orgel
Ausführender/Ausführende: David Mayoral /Schlagwerk
Ausführender/Ausführende: Marc Clos /Schlagwerk
Länge: 03:52 min
Label: Alia Vox AV 9844

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