Ingrid Bachler

EPD/USCHMANN

Zwischenruf

Ingrid Bachler über die Qual der Wahl

von Ingrid Bachler, Oberkirchenrätin der evangelisch-lutherischen Kirche in Österreich

Die Qual der Wahl

Demokratie kann manchmal mühsam sein. Heute sind Menschen in Oberösterreich, in Graz und in Deutschland aufgerufen, Demokratie auszuüben: Indem sie zur Wahl gehen. Manchmal habe ich den Eindruck, einige Menschen möchten gar keine Wahl. Die Wochen davor sind erfüllt von Wahlwerbung aller Art. Politikerinnen und Politiker lachen von Plakaten, in unseren Briefkästen finden wir Postwurfsendungen aller Parteien, im Fernsehen gibt es unzählige Diskussionen der Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten. Eine Fülle von Informationen steht uns zur Verfügung, manche empfinden es als Überflutung.

Am Wahltag nehmen etliche Menschen ihr Wahlrecht nicht in Anspruch. Vielleicht weil sie keine Wahl wollen, oder weil kein Parteiprogramm ihre Wünsche und Erwartungen erfüllt? Oder weil die Politikerinnen und Politiker ihre Wahlversprechen nicht erfüllen? Oder einfach, weil ihnen die Politik egal ist?

Wie komme ich zu einer eigenen Meinung, zu meinem politischen Standpunkt? Am besten, durch viele Gespräche, kritisches Zuhören und Lesen der Wahlprogramme. Für mich ist auch wichtig, ob Aussagen der Politiker und Politikerinnen und ihre Programme den Geboten der Menschenwürde standhalten. Der christliche Glaube hilft mir dabei. Er bejaht die "Demokratie als die Form des geordneten Zusammenlebens, die der Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit der Menschen am meisten Raum gibt". Demokratie ist für das menschenwürdige Zusammenleben die beste Voraussetzung. So steht es in einer Denkschrift der Evangelischen Kirchen aus dem Jahr 2002.

Ein wichtiges Ziel der Demokratie ist es, die Spannung zwischen Freiheit und Gerechtigkeit, zwischen individuellem Wohl und Gemeinwohl in einem ausgeglichenen Zustand zu halten - und den Menschen, die hier leben, eine Teilhabe an Bildung, Mobilität und Kommunikation zu ermöglichen. Die Liebe zu den Armen, Schwachen und Fremden ist in der Bibel ganz eindeutig formuliert. Dies beinhaltet für mich auch den Schutz von Minderheitenrechten. Die Kirchen erinnern daran, dass die Minderheiten in der politischen Diskussion mit ihren Anliegen präsent bleiben.

Demokratie bedeutet daher immer Diskussion, Auseinandersetzung, auch zivilisierten Streit - im Bewusstsein eines offenen Ausganges. Demokratie funktioniert nur mit unserer aktiven Mitgestaltung. Die Kirchen sehen es als ihre Aufgabe, den Staat in seinem Auftrag und die Christinnen und Christen in ihrem politischen Leben zu begleiten.

Ja, Demokratie kann auch anstrengend sein. Ich muss mich informieren, mir eine Meinung bilden und mich mit anderen austauschen. Ich trage Verantwortung für die gemeinsame Sache. Und da ist mitbestimmen besser, als einfach andere über mich entscheiden zu lassen. So kann ich dafür sorgen, dass die Menschenwürde nicht unter die Räder kommt, sondern bewahrt wird. Deshalb ermutige ich Sie: Gehen Sie heute zur Wahl und tragen Sie so dazu bei, dass unsere Demokratie weiter wachsen kann. Und die Würde der Menschen geachtet wird. Sich dafür auf den Weg zu machen, lohnt sich in jedem Fall.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Keith Jarrett
Album: DARK INTERVALS
Titel: Entrance/instr./live
Solist/Solistin: Keith Jarrett /Piano
Länge: 02:55 min
Label: ECM 1379 / 8373422

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