Nacktheit und Make-up

21. Februar 2022, 06:56

Um diese Uhrzeit liegt mein erstes Problem, wie an jedem Tag, schon hinter mir: meine erste Herausforderung habe ich schon mit dem Aufstehen. Ich befinde mich mit meinen Problemen aber in guter Gesellschaft. Andy Warhol, der große Pop-Artist, Bildermacher und Filmregisseur, Musikproduzent und Fabrikbetreiber, hat es als Hobbyphilosoph immer wieder bestätigt.

In seinem literarischen Hauptwerk neben seinem Tagebuch, der "Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück", wie er es betitelte, benennt er sein grundlegendes Problem, es ist: seine Haut. Make-up scheint ihm keinen Ausweg zu bieten, denn er verwendet eigentlich keines, er kauft es nur. Denn: "Es wird so viel gute Werbung für Make-up gemacht, dass man es nicht einfach links liegen lassen kann." So muss er auch notwendigerweise weiter fragen: "Aber bin ich selbst auch getarnt?" Es handelt sich dabei allerdings nicht um ein Versteckspiel, das er aus der Kindheit ins Erwachsenenalter hinübergerettet hätte. Schließlich geht es in seiner Selbstvergewisserung ums Ganze; Warhol stellt lapidar fest: "Nacktheit ist eine Bedrohung meiner Existenz."

Die Lösung formuliert er in der Überschrift des betreffenden Kapitels: "Andy zieht den Warhol an." Den Warhol in den unterschiedlichsten Facetten, möchte man anfügen. Und diesen Vorgang hat er ein Leben lang perfektioniert. Sein morgendliches Problem hat Warhol übrigens damit "getarnt", dass er - typisch amerikanisch, mag man sich denken - den Fernseher eingeschaltet hat.
Das brachte ihm bis zum Abend etwas Beruhigung. Er schreibt: "Am Ende des Tages ist der ganze Tag ein Film." Genau betrachtet die perfekte Tarnung für einen Künstler, dessen grundlegendes Thema "Öffentlichkeit" heißt.

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• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler