Brigitte Schwens-Harrant

ORF/JOHANNES PUCH

Gedanken für den Tag

Brigitte Schwens-Harrant über E. T. A. Hoffmann

"Meister des Unheimlichen - E. T. A. Hoffmann zum 200. Todestag" von Brigitte Schwens-Harrant, Literaturkritikerin, Buchautorin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche"

Nachtstücke oder Das Unheimliche

Das Wort "Nachtstück" bezeichnet bis zum 17./18. Jahrhundert eine bildliche Darstellung einer nächtlichen Szene. Die Darstellung des Lichtes, der Dunkelheit und der Übergänge vom einen zum anderen forderte die Künstler besonders heraus.

Das wurde bald auch eine Herausforderung für Literaten. Der Schriftsteller E. T. A. Hoffmann, der vor 200 Jahren, am 25. Juni 1822 gestorben ist, gab 1817 seiner Novellensammlung den Titel "Nachtstücke". Er war nicht nur in diesen "Nachtstücken", sondern auch in anderen Werken den Nachtseiten des Menschen, den inneren Abgründen auf der Spur. Er analysierte nicht die menschliche Erfahrung, dass da bei aller Vernunft auch etwas Unbewusstes, etwas Unbändiges im Menschen steckt, aber er erzählte sie. Im berühmten Märchen "Der goldene Topf" etwa heißen die Erzählabschnitte nicht "Kapitel", sondern "Vigilien", "Nachtwachen" also. Das verweist auf Schwellen, auf Übergangserfahrungen vom Tag in die Nacht.

Die Novelle "Der Sandmann" sticht unter den "Nachtstücken" von E. T. A. Hoffmann besonders hervor. Sie ist, so Biograf Alexander Kluy, "vielleicht der grausigste Text, den Hoffmann jemals schrieb, mit Sicherheit die markerschütterndste und wahnsinnigste Prosa der Nachtstücke. Ein einziger Fieberschreitraum Nathanaels. Der nicht weiß, was seine Augen treiben. Wo sie ihn hintreiben, leiten und verleiten."

Als Sigmund Freud 100 Jahre später in einem Aufsatz dem "Unheimlichen" nachging, griff er vor allem auf diese Novelle von Hoffmann zurück. Das Unheimliche, so schließt Freud, ist nicht etwa unheimlich, weil es nicht bekannt ist, sondern es ist "jene Art des Schreckhaften, welches auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht".

Das Unheimliche ist heimlich, es ist ein verborgenes, ein verdrängtes Geheimnis.

Service

E. T. A. Hoffmann: Der Sandmann, Verlag Henricus
Alexander Kluy: E. T. A. Hoffmann, Verlag Reclam
Sigmund Freud: Das Unheimliche, Verlag Reclam

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Gestaltung

Übersicht

Playlist

Komponist/Komponistin: E.T.A. Hoffmann 1776 - 1822
Titel: Symphonie in Es-Dur
* Menuetto - 3.Satz (00:03:05)
Orchester: Radio Symphonieorchester Berlin
Leitung: Lothar Zagrosek
Länge: 03:05 min
Label: Schwann Musica Mundi 11627

weiteren Inhalt einblenden