Berührbar bleiben

19. Dezember 2022, 06:56

Armenien ist eines der ältesten christlich geprägten Länder der Welt. Das ist mit ein Grund, weshalb ich dieses Land unbedingt bereisen wollte.

Neben den orientalisch-lebendigen und von der reichen Kultur ihrer Bewohnerinnen und Bewohner geprägten Städten, habe ich die großen Klosteranlagen im Norden, aber auch griechisch-römische Tempel besucht, die noch heute lebendige Orte der Verehrung einer Sonnengottheit sind. Aber auch das Erwandern der Landschaft und das Kennenlernen ihrer Bewohner:innen ist mir auf meinen Reisen immer wichtig.

Auf den Wanderungen über die Hochalmen sind uns immer wieder Hirten mit ihren riesigen Schafherden von 500 - 700 Tieren begegnet. Einmal haben wir auf einem ausgetretenen Pfad eine Frau mittleren Alters mit einer kleinen Kuhherde getroffen. Sonnengegerbt war ihre Haut, sie trug einfache Arbeitskleider mit Kopftuch und einen Wasserkanister. Mein Wandergefährte und ich sind mit unseren schweren Rucksäcken am Rand des Weges stehen geblieben, um zu warten - ich war nicht unfroh über die kleine Verschnaufpause. Da ist die Frau auf mich zugekommen - sie hat mich leise und zurückhaltend angelächelt, mir in die Augen geschaut und mich schweigend umarmt. Diese Umarmung war wie eine kleine Botschaft, eine Kommunikation ohne Worte: Wir Frauen sind stark, wir schaffen das, wir halten zusammen. Es hat sich angefühlt, als würde mich diese Frau segnen.

In der Bibel spielen Berührungen eine große Rolle. Wenn Jesus Menschen heilt, berührt er sie, oder sie berühren ihn, und der Apostel Thomas glaubt erst an den auferstandenen Jesus, als er ihn berühren kann. Jesus lässt sich berühren und er berührt - das eröffnet Beziehung, Verbundenheit und auch Heilung.

Der Mensch ist ein körperliches und ein geistig-seelisches Wesen. Die körperliche Distanz, die die Covid-Maßnahmen mit sich gebracht haben, hat vielen deutlich gemacht, was der Verlust von körperlicher Berührung bedeuten kann. Berührbar bleiben und selbst andere berühren - körperlich wie seelisch - das ist immer wieder neu eine Aufgabe am Weg des Mensch-Werdens.

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Sendereihe

• Gedanken für den Tag

Gestaltung

• Alexandra Mantler