Diagonal

Diagonal Stadtporträt Leningrad

In 40 Jahren um die Welt - Best of Diagonal Stadtporträts 8
Leningrad 1990 - kommentierte Wiederholung

Seit 40 Jahren reist die Ö1 Redaktion "Diagonal" für ihre Stadtporträts um die Welt - von Accra bis Venedig, von Damaskus bis ins Silicon Valley, von Manaus bis Rejkjavik. Rund 200 atmosphärisch dicht gewebte Klangeindrücke entstanden dabei, gespickt mit Analysen, Hintergrundgesprächen, überraschenden Entdeckungen und neuen Blickwinkeln auf vielleicht schon Altbekanntes. Mit dieser neuen Serie bringt Diagonal einen repräsentativen Querschnitt dieser Städtesendungen aus den letzten Jahrzehnten in aktuell kommentierter Fassung wieder ans Licht.

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte "Sankt Petersburg" einen entschieden zu "deutschen" Klang. 1914 wird der Stadtname russifiziert und aus der Metropole "Petrograd". Bereits zehn Jahre später folgt die nächste Umbenennung. Zu Ehren des soeben verstorbenen Wladimir Iljitsch Lenin wird aus Petrograd am 26. Jänner 1924 "Leningrad". Ihre Tage unter diesem Namen waren wiederum so gut wie gezählt, als Michael Schrott das Diagonal-Stadtporträt im Oktober 1990 mit diesen Worten eröffnete:

"Leise und zaghaft meldet sich Leningrad zurück. Es ist sich der Tatsache wohl bewusst, dass es außer Geschichte wenig zu bieten hat. Es ist ein stilles Aufzeigen in Richtung Westen: Hallo! Mich gab es doch schon einmal in eurer Runde. Leningrad ist eine leise Stadt geworden in den letzten Jahrzehnten.

Leningrad, las ich, bevor ich mich dorthin aufmachte, sei unumstritten die schönste Stadt der Sowjetunion. Ja, von weitem. Und wenn die Sonne scheint. Aber wenn man die Dinge aus der Nähe betrachtet, sich im Alltagsleben umtut, dann kriegt man erst mal so einen Kultur- und Konsumschock. Einen, der einen in eine tagelange Depression stürzen lässt. So arm, so heruntergekommen, so verschlampt, so schleißig hatte man sich das alles denn doch nicht vorgestellt.

Diese Stadt war Anfang des 18. Jahrhunderts innerhalb einer Generation als Gesamtkunstwerk auf 44 Inseln im Sumpf des Newa-Deltas hochgezogen worden. Peter der Große hatte sich dafür die besten Baumeister und Architekten aus Europa zusammen geholt. Mit dieser Stadt wollte der visionäre Zar sein Land nach Europa hin öffnen."

Eine Sendung von Michael Schrott mit Beiträgen von Tilman Spengler, Monika Czernin, Raimund Löw und Wolfgang Ritschel.

Mit einem Kommentar von Erich Klein und Roman Tschiedl in die Gegenwart geholt.

Erstausstrahlung: 20. Oktober 1990

Service

Diagonal "Stadtporträts" als Podcast

Karl Schlögel, "Jenseits des Großen Oktober. Das Laboratorium der Moderne. Petersburg 1909-1921", Siedler Verlag, 1988

Joseph Brodsky, "Erinnerungen an Leningrad", Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1990

Stefan Creuzberger et al. (Hg.), "St. Petersburg. Leningrad. St. Petersburg. Eine Stadt im Spiegel der Zeit", DVA, 2000

Christine Hamel, "Puschkinkult in weißen Nächten. St. Petersburger Seelensprünge", Picus Verlag, 2003

Karl Schlögel et al. (Hg.), "Sankt Petersburg. Schauplätze einer Stadtgeschichte", Campus, 2007

Gennadi Gor, "Das Ohr. Phantastische Geschichten aus dem alten Leningrad", Friedenauer Presse, 2007

Lena Gorelik, "Verliebt in Sankt Petersburg. Meine russische Reise", SchirmerGraf Verlag, 2008

Elena Gorokhova, "Goodbye Leningrad. Ein Memoir", dtv, 2012

Alexandru Bulucz (Hg.), "Die 32 Schimmelarten des Joseph Brodsky. Gedichte und Fotos", Mikrotext Verlag, 2019

Polina Barskova, "Lebende Bilder", Suhrkamp, 2020

Pawel Salzman, "Erinnerungen an die Blockade (Mai 1941 - Februar 1942)", Friedenauer Presse, 2022

Iwan Gontscharow, "Die Schwere Not. Eine Erzählung aus Sankt Petersburg im Jahre 1838", Friedenauer Presse, 2024

Sendereihe

Gestaltung

  • Roman Tschiedl
  • Erich Klein