Ausstellung im Jüdischen Museum
Die letzte Blaue
1920 in Wien geboren, erhielt Walter Arlen früh Klavierunterricht. Der Einmarsch der Nazis beendete alle Karrierepläne. Fast 30 Jahre lang arbeitete Arlen als Musikkritiker in den USA. Am 12. März 2008 ist er im Jüdischen Museum Wien zu Gast.
8. April 2017, 21:58
Das Wort Emigration "geniert" und ärgert ihn bis heute. 18 Jahre ist Walter Arlen alt, als im März 1938 die Nationalsozialisten in Österreich einmarschieren. Das familieneigene "Warenhaus Dichter" - damals das größte Warenhaus Wiens außerhalb des Gürtels - wird "arisiert".
Walter Arlens Vater wird nach Buchenwald deportiert, er selbst kann in die Vereinigten Staaten auswandern, seiner Mutter und seiner Schwester gelingt die Flucht nach London. Jahre später wird Walter Arlen als Musikkritiker der "Los Angeles Times" in unzähligen Konzerten zu Gast sein und große Komponisten und Interpreten persönlich kennen lernen - Igor Strawinksky, Aaron Copland, Jascha Heifetz und viele andere.
Kompositionen erinnern an Wien
Seit vielen Jahren lebt Walter Arlen in Kalifornien. In seinen eigenen Kompositionen kehrt er - zumindest musikalisch- in seine alte Heimat Wien zurück, so etwa in einem Klavierstück, das an die "letzte Blaue" erinnert, an die letzte Straßenbahn, die mit einem blauen Signal anzeigt, dass die letzte Fahrt für Nachtschwärmer angesagt ist.
Eine Augenerkrankung macht Walter Arlen das Komponieren heute unmöglich, die Sehkraft hat in den letzten Jahren stark nachgelassen.
Im März 1938 hat Walter Arlen seine Heimat verloren. 70 Jahre später, am 12. März 2008, ist Walter Arlen zu Gast bei einem Gesprächskonzert im Wiener Jüdischen Museum. Eine Ausstellung über Walter Arlen und seine Familie wird zu sehen sein - und es kommt zur Uraufführung und österreichischen Erstaufführung einiger seiner Kompositionen.
Warenhaus als Familienbetrieb
"Dichter Herbst" hieß eine Ausstellung und eine Veranstaltungsreihe, die im letzten Jahr an das einstige "Warenhaus Dichter" in der Brunnengasse 40 im 16. Wiener Gemeindebezirk erinnerte, an das 1890 gegründete Warenhaus und an die Familie Dichter, zu der auch der 1991 verstorbene Ernest Dichter, der Begründer der Motivationsforschung, gehörte.
1920 war Walter Arlen als Walter Aptowitzer in Wien- Ottakring geboren worden, als Sohn von Mina Dichter und Michael Aptowitzer, die Familie lebte im Geschäftshaus der Großeltern Leopold und Regine Dichter, den Gründern und Besitzern des "Warenhauses Dichter".
1935 wurde das Warenhaus Dichter von Philipp Diamandstein, der gemeinsam mit Clemens Holzmeister ein Büro betrieb, im modernen Stil umgebaut. Das größte Warenhaus Wiens außerhalb des Gürtels war stets gut besucht und wurde als Familienbetrieb geführt.
Betrieb wird beschlagnahmt
In der gutbürgerlichen, kunstinteressierten Familie spielte auch die Musik eine wichtige Rolle. Walter Arlen bekommt schon früh Privatunterricht am Klavier, bereits mit zehn Jahren - so die Familienlegende- soll er seine ersten Kompositionen geschrieben haben.
Der Einmarsch der Nationalsozialisten beendete alle Karrierepläne des jungen Musikers. Das Warenhaus des Großvaters wird innerhalb weniger Stunden beschlagnahmt und "arisiert", in der Nacht vom 12. auf den 13. März 1938 dringen SA-Männer in die Wohnung ein.
Entschädigungszahlung verhindert
Bargeld, Briefmarken, Familienschmuck werden mitgenommen und auf einem Geschäftspapier aufgelistet, was Jahre später eine Entschädigungszahlung verhindert, da es als "Geschäftseigentum", und nicht als "Privateigentum" angesehen wird.
Der Vater kommt nach Dachau, später nach Buchenwald. Das Warenhaus Dichter wird im März 1938 vom Bankhausbesitzer Edmund Topolansky "arisiert", er übernimmt es um ein Drittel seines wahren Wertes, der Kaufpreis wird aus den Erträgen des Kaufhauses bezahlt. Später wechselt das Kaufhaus mehrmals die Besitzer, im März/April 2007 kommt es zum endgültigen Abriss des traditionsreichen Hauses.
Musikstudien in den USA
Mit 18 Jahren beginnt für Walter Arlen ein neues Leben in Chicago, er ist allein, ohne Familie, er hat wenig Geld, spricht kaum Englisch. Österreich und Wien sind plötzlich weit weg. In Amerika wird aus Walter Aptowitzer Walter Arlen.
Walter Arlen beginnt wieder zu komponieren, er nimmt seine Musikstudien wieder auf - und reicht einige Lieder bei einem Wettbewerb am Konservatorium in Chicago ein. Er gewinnt den ersten Preis: Kompositionsstunden beim Komponisten Roy Harris.
Musikkritiken für die "Los Angeles Times"
Schließlich übersiedelt Walter Arlen nach Kalifornien. Im März 1952 beginnt Walter Arlen seine ersten Musikkritiken für die "Los Angeles Times" zu schreiben. Eine Tätigkeit, die er bis zum Jahr 1980 ausüben sollte.
Ab 1969 unterrichtet Arlen auch an der Loyola Marymount University in Los Angeles, wo er - neben seiner Tätigkeit als Musikkritiker - eine eigene Musikabteilung aufbauen kann, deren Vorstand er schließlich wird.
Komponieren wieder aufgenommen
1990 hat Walter Arlen seine akademische Karriere beendet. Nach fast dreißig Jahren Unterbrechung - nach intensiven Jahren als Musikkritiker und Musikpädagoge - begann Walter Arlen 1986 auch wieder zu komponieren.
"Wir wurden hinausgeschmissen"
Im Herbst 2007 hat Walter Arlen im Nationalfond eine endgültige Verzichtserklärung unterschrieben, er stellt keine Forderungen mehr, die das einstige familieneigene Warenhaus "Dichter" betreffen. "Wir sind nicht emigriert - wir wurden hinausgeschmissen", so Walter Arlen. Traurig und zornig zugleich erscheint der 88-jährige im Gespräch, wenn er von seinen Erfahrungen mit der alten Heimat erzählt. Sein Verhältnis zu Österreich, zur Geburtsstadt Wien bleibt schwierig.