Klaus Nüchtern über den Jazzmusiker

Wie wird man Franz Koglmann?

Franz Koglmanns musikalische Sozialisierung reicht von Biermusik bis zu Arnold Schönberg. Mit einem Stutzi-Tonband zeichnete er Woche für Woche Louise Martinis Radiosendung "Jazz vor Mitternacht" auf, Klubs und Konzertsäle wurden zu seiner Akademie.

Niemand kommt aus dem Nichts, und bevor man sich einen Namen machen kann, hat man schon einen - das ist auch heute noch meist derjenige des Vaters, und 1947, als Franz Koglmann in Mödling zur Welt kam, war es erst recht so.

Der Name des Vaters ist aber nicht das einzige, was man mit auf den Lebensweg bekommt: "Meine Mutter hat in den 50er Jahren in einem Chor gesungen, in Wien Siebenhirten. Die Proben waren in einem Hinterzimmer eines Kaffeehauses. Ich war da gelegentlich dabei. Das war immer sehr beeindruckend. Mein Großvater mütterlicherseits war ein böhmischer Musikant. Die Familie kam aus der Gegend von Prag nach Wien."

Blick über den Tellerrand

Der erwähnte böhmische Musikant soll ein virtuoser Ziehharmonikaspieler gewesen sein, und das Akkordeon wird auch zum ersten Instrument des kleinen Franz Koglmann - der freilich schon in jungen Jahren eine Neigung erkennen lässt, über den Tellerrand zu schauen - und sei's der Tellerrand der Musik. "Ich mochte andere Kinder nicht besonders", erinnert er sich, "ich habe lieber gelesen."

Koglmann geht in Siebenhirten in die Hauptschule und beginnt danach eine Buchbinderlehre, die er nach drei Jahren mit einer Facharbeiterprüfung abschließt. Parallel dazu besucht er ein Privat-, später dann das städtische Konservatorium. Wenn es auch nicht unbedingt die vorgesehene Laufbahn ist, so haben die Eltern gegen die musikalischen Ambitionen des Buben doch nichts einzuwenden.

Musikalische Selbsterziehung

Der Anschluss an Gleichaltrige mit ähnlichen Interessen ist schnell hergestellt, die Voraussetzungen sind im Wien der 1960er-Jahre freilich noch ganz andere als heute. Von zeitgenössischer E-Musik etwa kann kaum die Rede sein, Stockhausen kennt man allenfalls vom Hörensagen. Koglmann und seine Kollegen beschreiten den Weg musikalischer Selbsterziehung:

"Wenn da jetzt zum Beispiel auf einem Gong eine Flasche zertrümmert wurde, hat sich jeder auf den Kopf gegriffen, was das sein soll", so Koglmann. "Wir waren sozusagen zu konservativ. Wir waren ja gerade dabei, zum Beispiel Bruckner-Symphonien zu erobern. Mahler war schon etwas Revolutionäres. Die Erste Mahler war für uns damals so etwas wie Neue Musik."

Missverständnis mit Schönberg

Freilich: Nicht jede Ablehnung gründet ausschließlich im eigenen Unverständnis: "Als ich das erste Mal das Bläserquintett von Schönberg gehört habe, war ich schockiert, weil ich gedacht habe, das ist der letzte Mist. Später bin ich draufgekommen, dass es einfach so schlecht gespielt war."

Man saugt auf, was da ist. Mit einem Stutzi-Tonband zeichnet Koglmann Woche für Woche Louise Martinis Radiosendung "Jazz vor Mitternacht" auf, Klubs und Konzertsäle - wo ihn etwa Strawinskys "Geschichte vom Soldaten" unter dem damals noch sehr jungen Zubin Metha beeindruckt - werden zu seiner Akademie.

Miles Davis als Erweckungserlebnis

Ursprünglich verdankt sich die Wahl des Instruments der Begeisterung für Louis Armstrong, den Koglmann zweimal Live hört - ein Einfluss, de sich freilich rasch verflüchtigt und von anderen Erweckungserlebnissen überlagert wird: "Ich war dann in einem Miles-Davis-Konzert. Da ist mir ein Knopf aufgegangen. Komponist und Interpret in einer Person, weit weg von diesem steifen Konzertbetrieb, das hat mir schon sehr imponiert. Aus dem Grund hab ich dann unverzüglich danach die Aufnahmsprüfung in die Jazz-Abteilung gemacht."

Für das Selbstverständnis als Künstler ist Miles Davis richtungsweisend, für die persönliche Klangästhetik sollte allerdings ein anderer Trompeter noch wichtiger werden: Chet Baker ist eine Ikone des an der Westküste der Vereinigten Staaten beheimateten Cool Jazz, er verbindet Sexappeal mit einem femininen Touch - und Baker ist ein Weißer, was Koglmann später dazu inspirieren wird, gegen die Auffassung des Jazz als rein schwarze Musik zu polemisieren und seine "White Line" dagegen zu halten: "Die Trompete kennt man halt als Fanfareninstrument, laut und hoch und oft sehr grauslich klingend. Das war beim Baker alles ganz anders: leise, nicht so hoch, aber elgant und wendig, samtiger Ton, schöne Melodieführung, interessante Linien. Das hat mich extrem beeindruck."

Mozart und Biermusik

Zu dem Zeitpunkt ist Koglmann selbst noch weit davon entfernt, seine Identität als Jazzmusiker und Komponist entwickelt zu haben. Später wird er sich dem Festivalzirkus und dem Dasein als Studiomusiker oder Sideman in den Bands anderer Kollegen weitgehend verweigern, jetzt muss gespielt werden, was geht.

"Zum Beispiel habe ich sehr viel Kirchenmusik gespielt", erzählt er, "alle Mozart- und Haydn-Messen auf der Zweiten Trompete. Ich hab in Tanzkapellen gespielt, natürlich Barmusik, Nachtklubmusik. Ich war bei der Militärmusik, hab auch Biermusik gespielt, das war mit Abstand das Scheußlichste, was ich gemacht habe."

Sprung in die Internationalität

Als Koglmann schließlich in der Wiener Jazzavantgarde ankommt, wird ihm rasch klar, dass das nicht das Ziel seiner Laufbahn, sondern allenfalls eine Zwischenstation sein kann. Die Devise lautet: Internationalisierung. Der Mann, der ihm dabei behilflich sein soll, heißt Steve Lacy. Mit dem amerikanischen Sopransaxofonisten, einem der wichtigsten und eigenständigsten Proponenten der Jazzavantgarde, wird er 1973 das Album "Flaps" einspielen.

Text: Klaus Nüchtern

Übersicht