Der arabische Teil von Tel Aviv

Das Stadtviertel Jaffa

Die Altstadt von Jaffa mit ihren engen, verwinkelten Gassen ist heute eine Künstlerkolonie mit Galerien und Restaurants. Jaffa war die wichtigste Stadt Palästinas. Nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 wurde Jaffa an Tel Aviv angeschlossen.

In Jaffa kamen die Jerusalem-Pilger an, aber auch die ersten jüdischen Einwanderer und später die Flüchtlinge vor dem Nationalsozialismus. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Spannungen zwischen den jüdischen Neuankömmlingen und der bestehenden arabischen Gemeinschaft, 1921 brachen die ersten Unruhen aus, die sich ab dann alle paar Jahre wiederholten. Heute ist Jaffa mehrheitlich jüdisch, es leben aber auch etwa 20.000 israelische Araber hier.

Ein Museum für die "Befreiung" Jaffas

Im Unabhängigkeitskrieg war Jaffa eine der Hochburgen des arabischen Widerstands gegen die israelische Staatsgründung. Erobert wurde die Stadt durch die Irgun, jene militärische Formation, die auch das Attentat auf das King David Hotel in Jerusalem und das Massaker im Ort Deir Yassin verübt hatte.

Die Eroberung Jaffas und die darauffolgende Flucht der arabischen Bevölkerung wird heute in einem Museum gefeiert, das auf den Ruinen eines arabischen Hauses errichtet wurde und "Museum für die Befreiung Jaffas" heißt.

"Befreiung" - diese Bezeichnung stößt Fadi Shbeita vom Bürgerkomitee von Jaffa recht bitter auf: "Was viele Leute nicht wissen: An die 80 Prozent der Bewohner Gazas sind Flüchtlinge, die 1948 aus Jaffa gekommen sind. Der Großteil der Stadt war damals unbewohnt, die Häuser standen leer, den Flüchtlingen war die Rückkehr verwehrt, der Staat hat diese Grundstücke beschlagnahmt und die Stadt sollte von einer arabischen zu einer jüdischen Stadt werden. (...) Lange Zeit hindurch wurden daher die historischen Gebäude zerstört. Früher war das ein sehr belebtes Viertel, aber mittlerweile wurden Tausende Häuser zerstört."

Zunehmende Gentryfizierung

In den an die historische Altstadt von Jaffa angrenzenden Vierteln Ajami und Givat Aliya fällt eine eigenartige Stimmung auf: Es gibt viele leere Grundstücke, dazwischen einzelne renovierte Gebäude. Hier spielt sich das ab, was man in vielen Städten unter Gentryfizierung versteht: wohlhabendere Tel-Aviver, die den Blick aufs Meer und die Nähe zum Strand schätzen, kaufen sich ein, die alteingesessene Bevölkerung zieht aus.

Doch hier ist die Gentryfizierung auch noch mit der ethnischen Frage verbunden: Die neu Zuziehenden sind Juden, die Alteingesessenen Araber. Fadi Shbeita spricht daher von einer Judaisierung Jaffas, derzeit seien an die 500 arabische Familien davon bedroht, ausgesiedelt zu werden.

Leerstehende Häuser vom Staat beschlagnahmt

Die staatliche Wohnbaugesellschaft Amidar weist den Vorwurf der ethnischen Säuberung zurück und spricht von illegalen Hausbesetzern. Es handelt sich dabei meist um Palästinenser, die 1948 aus ihren Dörfern flüchten mussten und sich hier einquartierten, in arabischen Häusern, deren Besitzer ebenfalls geflohen waren. Die Häuser von geflohenen Arabern wurden vom Staat beschlagnahmt, der ließ die Flüchtlinge dort wohnen - jedoch nur so lange, bis die Grundstückspreise stiegen und eine profitablere Verwertung möglich wurde.

Die reicheren Araber, die die großen, prächtigen Häuser von Jaffa früher bewohnten, sind meist geflohen, heute nimmt man die Araber in erster Linie als Tankwarte, Zimmermädchen und Taxifahrer wahr. Den ersten arabischen Universitätsabsolventen aus Jaffa gab es erst in den 1970er Jahren; die Hälfte der arabischen Jugendlichen hier hat keinen Schulabschluss, es gibt ein Drogenproblem und eine hohe Kriminalitätsrate.

Die einzige arabische Buchhandlung Jaffas wurde erst vor einigen Jahren eröffnet, von der jüdischen Israelin Dina Lee. "Ich habe den Vertrag für die Buchhandlung an demselben Tag unterzeichnet, als die Amerikaner in den Irak einmarschiert sind", erinnert sie sich. "Die Leute haben uns gesagt: Ihr seid verrückt. Es hat so etwas 60 Jahre lang nicht gegeben, warum macht ihr das jetzt? Trotzdem ist es so etwas wie ein alternatives Kulturzentrum geworden, ein Ort, wo die arabische Kultur ausgestellt werden kann, und zwar sowohl für Araber, als auch für Israelis, die nicht arabisch sprechen."

Frühere Einwohner vertrieben

Eine Stadt, die aus dem Sand erstanden ist, ein leeres Feld sei der Ort gewesen, auf dem Tel Aviv errichtet wurde - so lautet der gängige Mythos. Doch wie so viele Mythen ist auch dieser nicht ganz richtig, denn dort, wo heute Tel Aviv steht, lagen früher mehrere Dörfer, deren arabische Einwohner 1948 vertrieben wurden, sagt Eitan Bronstein von der Organisation "Zochrot". "Zochrot" heißt Erinnern, und die hauptsächlich von jüdischen Israelis getragene Organisation will das Andenken an die arabische Vergangenheit des Landes aufrechterhalten.

Zochrot organisiert Touren zu früheren palästinensischen Orten, verteilt Stadtpläne von Tel Aviv mit Hinweisen auf frühere arabische Besiedlungsstrukturen oder macht auf die Vergangenheit von Jaffa aufmerksam, indem die Aktivisten die Straßenschilder mit den alten, arabischen Namen überkleben.

"Diese Schilder werden dann immer in ganzer kurzer Zeit wieder entfernt, und ich glaube, das liegt daran, dass wir damit einen zentralen Nerv Israel treffen", meint Eitan Bronstein. "Wir zeigen damit, dass hier Leben war, eine große Zivilisation, und zwar genau da, wo wir heute leben, manchmal sogar in denselben Häusern. (...) Das ist für viele Israelis eine sehr herausfordernde Aktion, sie wollen das nicht sehen und können damit nicht konstruktiv umgehen."

Außenseiter Zochrot

Das Logo von Zochrot ist ein Schlüsselloch. Das ist eine Anspielung auf das palästinensische Symbol der Nakba (Katastrophe) genannten Vertreibung von 1948. Die Schlüssel erinnern an die verlassenen Häuser, und Zochrot will das Schlüsselloch sein, denn die Organisation setzt sich für das volle Rückkehrrecht der Araber ein.

In der israelischen Gesellschaft ist das eine ziemliche Außenseiterposition, denn im Fall der Rückkehr der Palästinenser droht dem Land eine demographische Bombe - schließlich umfassen die 1948 Vertriebenen und ihre Nachkommen heute an die vier Millionen. Viele Israelis befürchten in diesem Fall eine Majorisierung durch die Araber, und das lässt die Ängste vor einer erneuten Vernichtung hochkommen.

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