Slowakei mit Ungarn im Streit

Doppel-Staatsbürgerschaft

Die Beziehungen zwischen Ungarn und der Slowakei haben einen neuen Tiefpunkt erreicht. Der Grund dafür ist das ungarische Staatsbürgerschaftsgesetz, das die neu gewählte nationalkonservative Regierungspartei Fidesz unter dem künftigen Premierminister Viktor Orban mit ihrer zwei Drittelmehrheit im Eilzugstempo beschlossen hat.

Das Gesetz besagt, dass jeder ethnische Ungar im Ausland die ungarische Staatsbürgerschaft bekommt, wenn er darum ansucht. Insgesamt leben knapp 3 Millionen ethnische Ungarn in den Nachbarländern Ungarns. In Österreich sind es rund 20.000, die der ungarischen Minderheit angehören. In der Slowakei leben rund 500.000 ethnische Ungarn, das sind 10 Prozent der Bevölkerung. Daher zeigt sich die slowakische Regierung empört über das ungarische Staatsbürgerschaftsgesetz, das – nach Ansicht der sozialdemokratisch dominierten Regierungskoalition in Bratislava - die Souveränität der Slowakei verletzt.

Mittagsjournal, 28.5.2010

Vorfahre muss Ungar gewesen sein

Es gibt zwar noch keine neue ungarische Regierung, dafür aber schon ein Gesetz, das ohne die zwei Drittelmehrheit der nationalkonservativen Bürgerunion Fidesz nicht zu verabschieden gewesen wäre. Im Eilzugstempo haben die Fidesz-Parlamentarier unter Federführung des künftigen Premierministers Viktor Orban das Staatsbürgerschaftsgesetz verabschiedet, von dem sie schon seit Jahren träumen. Es ermöglicht allen ethnischen Ungarn die Annahme der ungarischen Staatsbürgerschaft.

Man braucht im Antrag nur nachzuweisen, dass man der ungarischen Sprache mächtig ist und dass irgendein Vorfahre Ungar war – und schon hat man die ungarische Staatsbürgerschaft samt gültigem Reisepass. Das Wahlrecht ist nicht inkludiert. Das ist nach wie vor an einen Wohnsitz in Ungarn gebunden. Während die Nachbarländer Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Rumänien und die Ukraine bisher keine Einwände gegen das ungarische Staatsbürgerschaftsgesetz geäußert haben, läuft die Slowakei Sturm dagegen. Slowakische Nationalisten sprechen sogar von einer Kriegsgefahr.

Slowakei empört

So weit geht der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak nicht, aber auch er ist empört und die Empörung habe nicht mit einem mangelnden Selbstbewusstsein des noch jungen Staates Slowakei zu tun wie Lajcak betont: "Ich würde nicht von mangelndem Selbstbewusstsein sprechen. Man kann die unterschiedlichen Reaktionen der Nachbarländer nicht vergleichen, weil jedes Land in einer anderen Position ist. Würde das Gesetz bei uns nur 5.000 Slowaken und nicht 500.000 betreffen, wäre unsere Haltung auch anders".

Die slowakische Regierung befürchtet, dass jetzt tausende ungarische Slowaken, die vor allem im Grenzgebiet zu Ungarn leben, ungarische Staatsbürger werden wollen. Außenminister Lajcak meint, dass das Gesetz einzig und allein darauf abziele, eine ungarische Nation im Karpatenbecken zu errichten, ungeachtet der politischen Grenzen.

Trianon-Trauma der Ungarn

Hintergrund ist das Trianon-Trauma der Ungarn. Nach dem ersten Weltkrieg sind zwei Drittel des Königreiches Ungarn im Friedensvertrag von Trianon auf die Nachbarländer aufgeteilt worden. Übrig blieb nur ein Kernungarn in den heutigen Grenzen. Fünf Millionen Ungarn waren 1920 plötzlich Staatsbürger eines anderen Landes. Viele Ungarn, vor allem in nationalkonservativen Kreisen, träumen heute noch insgeheim von einer Wiedervereinigung. Der designierte ungarische Premierminister Viktor Orban sieht in dem Gesetz lediglich einen symbolischen Akt, der mit keinerlei Gebietsansprüchen verbunden sei. Die Proteste der Slowakei bezeichnet Orban als reine Wahlkampfrhetorik, denn am 12. Juni wählen die Slowaken ein neues Parlament. Viktor Orban sagt: "In der Slowakei wird gewählt. Es ist offensichtlich, dass die slowakischen nationalistischen Parteien Ungarn provozieren. Wir werden jedoch auf diese Provokation nicht eingehen".

Auch Bratislava ändert Gesetz

Quasi als Retourkutsche hat das slowakische Parlament ebenfalls das Staatsbürgerschaftsgesetz geändert. Demnach verliert in der Slowakei künftig jeder die slowakische Staatsbürgerschaft, der die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes annimmt. Das hat Konsequenzen für slowakische Beamte, die ihren Job verlieren, wenn sie keine Slowaken mehr sind. Ausgenommen sind die tausenden Slowaken, die gleichzeitig auch Tschechen sind. Die dürfen nämlich ihre Doppelstaatsbürgerschaft behalten. Die Slowakei misst in diesem Fall mit zweierlei Maß!