Brisante Themen bleiben aktuell

Diskussion um den Rechtsstaat

Ein justizpolitisch brisantes Jahr geht zu Ende: Tierschützerprozess, Jugendgefängnisse, Justizgebühren, gemeinsame Obsorge. Die Einschätzungen der Justizexperten der Parlamentsparteien zu alldem lassen erwarten, dass im kommenden Jahr 2011 die Diskussionen um den Rechtsstaat in Österreich wohl in ähnlicher Heftigkeit weitergeführt werden wird.

"Erschreckender Zustand"

War das ein Justizjahr - ein Jahr der vielen Konflikte im traditionell eher auf Konsens bedachten Klima heimischer Justizpolitik. Am schärfsten formuliert BZÖ-Justizsprecher Ewald Stadler vom BZÖ. Der Zustand der heimischen Justiz sei auch zum Jahresende 2010 "so erschreckend wie zu Jahresbeginn, als wir den Untersuchungsausschuss hatten - wie der Fall Grasser-Maischberger-Plech zeigt".

Selbst SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim will die Justiz nicht uneingeschränkt gut heißen. Und Jarolim ist immerhin Abgeordneter einer Regierungspartei. Als "extrem ärgerlich" bezeichnet er Entwicklungen um Wirtschaftsstrafverfahren und den Tierschützerprozess, "und einige Dinge um den Jugendgerichtshof".

Da klingt der Oppositionspolitiker Peter Fichtenbauer (FPÖ) fast schon milde: "Es gab natürlich Fälle, die Kritik hervorgerufen haben. Die vielfältig gute Arbeit der Justiz geht im Vergleich dazu medial unter."

Der Befund von Albert Steinhauser, dem Justizsprecher der Grünen: "Die Justiz ist jedenfalls öfter im kritischen Fokus. Und bei der Ressourcenausstattung ist es in manchen Bereichen schlimmer geworden, in anderen gleichbleibende Mangelverwaltung."

Von uneingeschränktem Vertrauen gegenüber der Justiz spricht ÖVP-Justizsprecher Heribert Donnerbauer. Die vielen kritischen Schlagzeilen über die Justiz erklärt er sich so: "Die Justiz hatte insofern einen schwierigen Stand, als sie sehr stark in den Fokus der Parteipolitik geraten ist. Und das ist schwierig für ein Aufgabengebiet, das mit Verschwiegenheit zu tun hat und davon lebt, manche Schritte nicht in der Öffentlichkeit machen zu können."

Umstrittener Tierschützerprozess

Da war und ist der aufsehenerregende Prozess gegen 13 Tierschützer in Wiener Neustadt. Mehr als 60 Verhandlungstage, massive Kosten für Steuerzahler und Angeklagte. Ergebnis bisher völlig offen. Und das alles unter Anwendung eines Strafrechtsparagrafen, der laut Albert Steinhauser von den Grünen eigentlich ganz andere Delikte meint: "Wir kämpfen massiv für eine Änderung dieses Paragrafen 278a - 'Bildung einer kriminellen Organisation'. Da waren ursprünglich Menschenhändler, Waffenschieber im Fokus, aber nicht NGOs. Das ist eine missbräuchliche Anwendung des Paragrafen."

Ähnlich kritisch Rot und Orange, und selbst Blau kann sich für die Zukunft - eine Gesetzesänderung vorstellen. Und das, obwohl sie alle der Meinung sind, das bisherige Gesetz so präzise formuliert zu haben, dass keine Staatsanwaltschaft und auch kein Richter es missverstehen kann. Zurückhaltend hingegen Heribert Donnerbauer von der ÖVP: "Das ist eben unabhängige Gerichtsbarkeit und dafür gibt's auch den Instanzenzug. Das ist nicht Sache der Gesetzgebung oder von Politikern."

Probleme im Strafvollzug

Für Aufregung sorgten gegen Ende des Jahres die Aussagen von Jugendrichtern: In den Jugendgefängnissen mehrten sich sexuelle Übergriffe und andere Gewalttaten unter Häftlingen. Peter Fichtenbauer von der FPÖ: "Das ist eine Schweinerei. Man muss energischst Vorkehrungen treffen." Der Fehler liege da aber nicht bei der Legislatur, es handle sich eben um Vollzug.

Besseren Schutz wenigstens für Häftlinge, die sich getrauen ihre Misshandlung anzuzeigen, fordert Ewald Stadler vom BZÖ. SPÖ-Justizsprecher Jarolim erneuert seine Forderung nach der Wiedereinführung eines Jugendgerichtshofs. Und Albert Steinhauser von den Grünen kritisiert, von Seiten des Justizministeriums sei außer schönen Worten nichts passiert. Er gehe von Reformen im nächsten Jahr aus. ÖVP-Justizexperte Donnerbauer rückt zur Verteidigung der Ministerin aus: Sie habe ja angekündigt, die Jugendlichen in Gerasdorf zu zentralisieren.

Elektronische Fußfessel

Als Alternative zu Untersuchungs- und Strafhaft kam 2010 die elektronische Fußfessel. Doch sie hatte Startschwierigkeiten, wurde anfangs weniger oft verordnet als erwaret. BZÖ-Justizsprecher Ewald Stadler sagt, die Richter seien zu zögernd gewesen. Und Stadler holt aus zum Rundumschlag: Die unteren Instanzen hätten keinen Mut, das Gesetz anzuwenden und würden an die obere Instanz verweisen.

Leichte Körperverletzung

Stichwort Strafrecht für Normalverbraucher: Zum Jahresende wird die Strafbarkeit von leichter Körperverletzung abgeschafft, wenn das Opfer nicht länger als 14 Tage beeinträchtigt ist. BZÖ-Abgeordneter Stadler bezeichnet das als "weiteren Rückschritt in der österreichischen Rechtspflege", weil damit die Beweislast auf die ohnehin schon Geschädigten, nämlich vor allem Unfallopfer, abgewälzt werde. Mit anderen Worten: Wer auf Schmerzensgeld klagt, trägt in Zukunft - bei einer Zivilklage - auch das Kostenrisiko für medizinische Gutachten, was früher im Strafprozess nicht der Fall war.

Für die Neuregelung ist hingegen SP-Justizsprecher Hannes Jarolim, wegen der Entkriminalisierung des Autofahrens. 99 Prozent der Prozesse wegen leichter Körperverletzung stünden im Zusammenhang mit Auto-Unfällen. Jarolim: "Wenn der Straßenverkehr sozial von uns allen anerkannt ist, dann sollen die daraus resultierenden zwangsläufigen Konsequenzen nicht mit der größtmöglichen Schärfe des Gesetzes verfolgt werden."

FPÖ-Justizsprecher Fichtenbauer hingegen sagt: Besser wäre es gewesen, derlei Verurteilungen einfach nicht ins Vorstrafenregister zu schreiben. Der wahre Grund für die Straflosstellung der leichten Körperverletzung ist laut Fichtenbauer: "Die Justiz möchte sich zu Lasten der Bürger etwas ersparen." Und andererseits fühle sich die Justiz immer schon belästigt durch Autounfallsverfahren.

Fehlurteil-Entschädigung

Wer zu Unrecht im Gefängnis gesessen ist, wird in Zukunft nur mehr maximal 50 Euro Schmerzensgeld für den Verlust der Freiheit bekommen, SPÖ-Justizsprecher Jarolim hält das für ausreichend: In Deutschland seien es nur 20 Euro. Die Rechtsanwaltskammer spricht von Verhöhnung der zu Unrecht Einsitzenden. Jarolim unbeeindruckt: Das sei übertrieben, und Rechtsanwälte seien "nicht gerade eine Gruppe, die nicht sehr pointiert formuliert", sagt SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim, von Beruf Rechtsanwalt.